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Digitalisierung: Werkstätten fürchten Umsatzeinbußen

Sollte man vorhersagen können, wann ein Bauteil ausgetauscht werden muss, sind weniger Wartungen nötig. Werkstätten und Pannendienste sind alarmiert.

Macht die Digitalisierung häufige Werkstattbesuche

Die Zugtür öffnet sich nicht, der Automotor geht plötzlich aus, die Klimaanlage streikt – wer häufig mit dem Auto oder der Bahn unterwegs ist, muss auch auf solche unliebsamen Überraschungen vorbereitet sein. Pannen kosten Zeit, Nerven und oft auch viel Geld. Abhilfe verspricht die Digitalisierung. Denn sie macht möglich, dass Verkehrsmittel und andere technische Anlagen stetig überwacht und vorausschauend gewartet werden – und nicht erst dann, wenn das Malheur schon da ist. Gehören Pannen damit bald der Vergangenheit an?

Ständige Kontrolle

Die neuen Technologien nutzt beispielsweise Siemens in seinem Servicegeschäft für Züge. Zusammen mit Teradata, einem auf die Analyse riesiger Datenmengen spezialisierten Unternehmen aus den USA, optimiert der Konzern die Wartung für seine Bahnen. Die mussten früher standardmäßig nach einer festgelegten Kilometerleistung zum Check in die Werkstatt – obwohl das Intervall längst nicht zu jeder Komponente passte, wie Johannes Emmelheinz, Chef der Bahnservicesparte von Siemens, sagt. „Bei Ablauf mussten beispielsweise Bremsbeläge runter, auch wenn sie noch gar nicht abgenutzt waren.“

Nun stehen kritische Teile wie Bremsen, Getriebe und Türen über Sensoren ständig unter Beobachtung und können weit flexibler und je nach Bedarf instandgehalten oder ausgetauscht werden – nämlich beispielsweise in den Nachtstunden, wenn die Züge nicht im Einsatz sind. Das hilft, lange Standzeiten in der Werkstatt zu vermeiden und den Materialeinsatz zu reduzieren. Wichtigstes Ziel dabei: Es soll gar nicht erst zu Verspätungen oder Ausfällen kommen, sagt Emmelheinz. Denn die sind nicht nur ärgerlich für die Fahrgäste, sondern auch teuer für Kunden wie die Deutsche Bahn und andere.

Auch für die Autoindustrie interessant

Auch die Autoindustrie setzt auf die Datensammlung – und nutzt sie etwa für die vorausschauende Instandhaltung von Robotern und Fließbändern. Verschleißteile wurden früher sicherheitshalber oft zu früh ausgetauscht – oder zu spät, mit der Folge, dass die ganze Produktion stand. Heute signalisieren Sensoren an elektrischen Antrieben, Drehtischen oder Schweißzangen frühzeitig, wo sich ein Problem anbahnen könnte, wo etwas plötzlich leicht vibriert oder die Temperatur etwas ansteigt, wo sich Muster aus früheren Ausfällen zu wiederholen beginnen. Die Reparatur kann rechtzeitig und geplant erfolgen.

„In der Automobilproduktion zählt jede Sekunde. Ist ein Teil nicht rechtzeitig verfügbar oder hat eine Anlage einen Defekt, führt dies schnell zu einer Verzögerung im Produktionsprozess“, sagt Christian Patron, Leiter Digitalisierung in den BMW-Werken, und nennt ein weiteres Beispiel.

Individuelle Kennzeichnung von Bauteilen

Die Stahlbahnen, aus denen die Karosserieteile gestanzt und gepresst werden, sind 40 Tonnen schwer und drei Kilometer lang. Nicht an jeder Stelle ist das Blech exakt gleich dick und gleich fest – aber jede Abweichung kann beim Umformen bei extrem belasteten Karosserieteilen zu Rissen führen. Deshalb wird heute jedes Karosserieteil per Laser mit einer Art Personalausweis versehen.

Die Pressen werden dann auf die Eigenschaften jedes Teils feinjustiert, etwa durch zusätzliche Beölung. Auch beim Lackieren wird der Farbauftrag auf die Oberfläche jedes einzelnen Karosserieteils abgestimmt. Ein voller Erfolg, sagt Patron: Es gibt weniger Ausschuss, und die Bänder stehen seltener still.

Werkstätten reden mit EU-Kommission

Doch wo bleiben in der digitalen Welt eigentlich die vielen kleinen und mittelständischen Betriebe, die bisher ihr Geld mit Wartungen und Reparaturen verdienten? Bleibt dieses Geschäft zukünftig nicht gleich den Herstellern vorbehalten, die ihre digitale Technologien liefern und damit auch den Zugriff auf die Betriebsdaten bekommen? In Autowerkstätten jedenfalls gehen solche Sorgen bereits um.

Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) und sein europäischer Dachverband CECRA sind deshalb mit der EU-Kommission im Gespräch. „Eins ist auf jeden Fall klar, sofern nur der Fahrzeughersteller die Daten im Fahrzeug verarbeiten und dadurch digitale Dienstleistungen, wie beispielsweise die Ferndiagnose, anbieten kann, wird es für uns schwierig“, erklärt der ZDK. Datenmonopole für die Industrie müssten verhindert werden.

Vorerst aber dürfte den 37 700 Kfz-Betrieben in Deutschland die Arbeit trotz Telematik, Sensorik und vorausschauender Wartung nicht ausgehen. Mit durchschnittlich 9,3 Jahren sind die 46 Millionen Autos in Deutschland relativ alt – und der Reparaturbedarf steigt nun einmal mit zunehmendem Alter der Fahrzeuge. Das belegen auch Daten des ADAC, dessen Pannenhelfer immer häufiger ausrücken müssen.

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