Russland treibt den Bau der Pipeline Power of Siberia 2 (PoS-2) voran. Sie soll Erdgas aus Westsibirien über die Mongolei nach Nordchina leiten. Gazprom-Chef Alexei Miller nennt das Vorhaben das „ambitionierteste und kapitalintensivste“ Gasprojekt der Welt. Doch noch fehlt die entscheidende Grundlage: China hat den Vertrag nicht bestätigt, und über Finanzierung, Preise und Liefermengen wird weiter verhandelt.
Erdgas als geopolitisches Druckmittel
Miller spricht der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge von einem „rechtsverbindlichen Memorandum“ mit der China National Petroleum Corporation (CNPC). Eine gleichlautende Bestätigung von CNPC fehlt bislang jedoch. Damit bleibt PoS-2 vorerst ein politisches Signal in puncto (Flüssig-)Erdgas, aber kein endgültiger Baubeschluss.
Anfang September 2025 haben Gazprom und die China National Petroleum Corporation (CNPC) ein rechtlich bindendes Memorandum unterzeichnet. Es umfasst zwar den geplanten Trassenverlauf und strategische Absichtserklärungen, entscheidende Parameter wie Preisformeln, Finanzierung und verbindliche Lieferverträge stehen jedoch weiterhin aus. Auch russische Regierungsvertreter räumen ein, dass die Verhandlungen über Preise und Währungen noch laufen. Früheste Lieferungen werden derzeit nicht vor 2030, nennenswerte Volumina sogar erst ab Mitte der 2030er-Jahre erwartet.
Parallel dazu haben beide Seiten vereinbart, die Lieferungen über die bestehende Power of Siberia 1 bereits früher auf die vertraglich maximal zulässigen 44 Milliarden Kubikmeter jährlich zu steigern. Zudem wird die sogenannte „Far Eastern Route“ von ursprünglich zehn auf zwölf Milliarden Kubikmeter ausgebaut. Präsident Wladimir Putin betonte, China werde über PoS-2 von einer „marktgerechten Preisformel“ profitieren – allerdings nicht nach europäischem Spotpreis, sondern auf Grundlage langfristiger bilateraler Kalkulationen.
Technisch gesehen soll die Pipeline rund 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr liefern – ähnlich viel wie die frühere Nord Stream 1, die Gas durch die Ostsee nach Deutschland transportierte. Anders als die bereits aktive Power of Siberia 1 (38 bcm/Jahr, seit 2019 in Betrieb), soll PoS-2 Erdgas aus den Feldern in Westsibirien nach China umleiten – genau jenen Quellen, die früher den europäischen Markt versorgten.
Die Hintergründe sind geopolitisch:
- Russland braucht dringend neue Absatzmärkte, seit die EU ihren Ausstieg aus russischem Gas vorantreibt.
- China wiederum sucht zusätzliche Optionen, um sich von schwankenden Preisen im globalen Flüssigerdgas-Markt (Liquefied Natural Gas, LNG) abzusichern.
Die chinesische Seite hat bislang keine offizielle Vertragsbestätigung veröffentlicht, und Beobachter sehen Chinas Verhandlungsmacht als deutlich gewachsen: Moskau hat mehr Interesse an Absatzsicherung als Peking an zusätzlichem Pipelinegas.
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Auswirkungen auf die LNG-Märkte
Sollte PoS-2 tatsächlich Anfang der 2030er Jahre ans Netz gehen und China langfristig große Mengen abnehmen, könnte die Nachfrage des Landes nach Flüssigerdgas sinken. Ergebnis: Mehr freie LNG-Mengen für Europa und andere asiatische Käufer*innen – und tendenziell niedrigere Preise.
Schon jetzt sieht die Internationale Energieagentur (IEA) eine Abkühlung: In der ersten Hälfte 2025 sank Chinas Gasnachfrage um rund ein Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die LNG-Importe sogar um mehr als 20 Prozent. Gleichzeitig entsteht weltweit ein Überangebot.
Jährliche Veränderungen im weltweiten Erdgas- und LNG-Handel (2019 bis 2025):

Katar baut seine Kapazitäten auf 126 Millionen Tonnen pro Jahr (mtpa) bis 2027 und etwa 142 mtpa bis 2030 aus. Nordamerika – vor allem die USA – verdoppelt seine Exportkapazität bis 2028 auf über 21,2 Milliarden Kubikfuß pro Tag (Bcf/d), was umgerechnet rund 161 mtpa entspricht. Damit liegen die USA sogar leicht über den bis 2030 geplanten Kapazitäten Katars. Das bedeutet: Selbst ohne PoS-2 kommt eine Angebotswelle, die Preise dämpfen dürfte. Mit PoS-2 würde sich dieser Effekt noch verstärken.
Hinzu kommt aktuell, dass Russland parallel versucht, seine LNG-Exporte nach China über Arctic LNG 2 und Sakhalin 2 zu steigern. Das kündigte Energieminister Sergei Tsivilev der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge Anfang Oktober 2025 an. Damit verfolgt Moskau eine Doppelstrategie: kurzfristig über LNG zusätzliche Mengen nach China zu lenken, mittelfristig über PoS-2 feste Pipeline-Abnahmemengen zu sichern.
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Europas Strategie gegen russische Abhängigkeit
Bereits Anfang Mai 2025 präsentierte die EU-Kommission eine Roadmap zur Beendigung der russischen Energieimporte bis Ende 2027. Inzwischen geht Brüssel weiter: Am 23. Oktober 2025 beschlossen Rat und Parlament ein phasenweises Importverbot für russisches LNG. Kurzfristige Verträge enden binnen sechs Monaten, langfristige spätestens am 1. Januar 2027. Zudem soll ein vollständiger Ausstieg aus russischem Gas bis spätestens 1. Januar 2028 folgen.
Für Deutschland sind dabei drei Punkte entscheidend: Die Bundesnetzagentur meldet, dass der Stopp russischer Gas-Transitströme über die Ukraine am 1. Januar 2025 keine direkten Auswirkungen auf die Versorgung hatte. Der Gasverbrauch lag demnach 2024 bei 844 Terawattstunden (TWh) – zwar leicht gestiegen, aber noch immer 14 Prozent unter dem Schnitt der Jahre 2018 bis 2021.
Zudem sichern neue LNG-Terminals die Versorgung: Alle Regasifizierungsslots für 2025 sind bereits vergeben, und zusätzliche schwimmende Terminals (Floating Storage and Regasification Units, FSRU) wie die „Excelsior“ in Wilhelmshaven, die im Frühjahr 2025 in Betrieb ging, sind am Netz. Damit ist Deutschland heute robuster aufgestellt als noch 2022.
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Folgen für den deutschen Gasmarkt
Kurzfristig, also bis etwa 2028, wird die geplante PoS-2 noch keine direkte Wirkung auf den deutschen Erdgas- und LNG-Markt entfalten. Für die Versorgungssicherheit und die Preisentwicklung sind in dieser Phase vor allem die Füllstände der Speicher, die Lieferungen aus Norwegen sowie die Witterung im Winter entscheidend.
Mittel- bis langfristig, in den späten 2020er- und frühen 2030er-Jahren, zeichnet sich dagegen ein anderer Trend ab: Eine weltweite Angebotswelle an Flüssigerdgas aus Katar und den USA dürfte die Gefahr von Preisspitzen dämpfen. Sollte PoS-2 tatsächlich zusätzliche LNG-Mengen für den Weltmarkt freimachen, könnten auch deutsche Haushalte davon profitieren – in Form von stabileren und tendenziell niedrigeren Tarifen.
Ein weiterer Effekt betrifft die Preisschwankungen. Mit der Ausweitung der LNG-Kapazitäten in Deutschland und einem insgesamt entspannteren globalen Markt sinkt das Risiko extremer Preissprünge wie im Krisenjahr 2022. Mehr verfügbare Importmöglichkeiten und diversifizierte Bezugsquellen sorgen dafür, dass der Energiemarkt widerstandsfähiger gegenüber Schocks wird.
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Klimawirkung von Pipelinegas und LNG
Im Lebenszyklus verursacht Pipelinegas in der Regel weniger Emissionen als LNG, da Verflüssigung und Transport auf Schiffen besonders energieintensiv sind. Doch entscheidend ist die Methan-Problematik: Schon kleine Leckagen entlang der Transportkette haben erhebliche Klimawirkung. Methan (CH4) wirkt über 20 Jahre betrachtet rund 80-mal stärker auf das Klima als Kohlendioxid (CO2).
Mit der EU-Methanverordnung (EU) 2024/1787 gelten seit 2024 strengere Vorgaben für Messung, Berichterstattung und künftig auch für die maximal zulässige Methanintensität. Damit wird künftig entscheidend, welches Gas Europa überhaupt noch importieren darf.
Putins Pipelinepläne sind für Moskau strategisch wichtig – doch Peking sitzt am längeren Hebel. Der aktuelle Stand im Herbst 2025 lautet: Memorandum ja, Preisvertrag nein. Der eigentliche Bau und die Inbetriebnahme dürften sich über Jahre hinziehen. Parallel steigert Russland bereits seine LNG-Lieferungen nach China.
Für deutsche Haushalte sind die Folgen weniger unmittelbar, aber potenziell positiv: Wenn PoS-2 in den 2030er Jahren tatsächlich in Betrieb geht und China große Mengen abnimmt, bleibt mehr LNG für Europa übrig. Zusammen mit den neuen LNG-Terminals in Deutschland und strengeren EU-Klimavorgaben bedeutet das: mehr Versorgungssicherheit, weniger Preisschwankungen und tendenziell günstigere Erdgas- und LNG-Preise.
Quellen: TASS; International Energy Agency; Interfax European Commission; Bundesnetzagentur; Amtsblatt der Europäischen Union
Hinweis: Ukraine-Hilfe
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