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Erdgas: Merz-Ministerin gibt neuen Kurs vor – mit Folgen für Stromkunden

Erdgas spielt auch künftig eine zentrale Rolle: Die Bundesregierung rückt den Energieträger wieder stärker in den Fokus ihrer Energiewende-Politik.

Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Katherina Reiche (CDU)
© IMAGO / dts Nachrichtenagentur / futurezone.de [M]

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Die deutsche Energiewende tritt in eine neue Phase: Unter Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) in der Regierung von Kanzler Friedrich Merz verschiebt sich der Schwerpunkt von einer konsequenten Klimaneutralitätsstrategie hin zu mehr Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit. Erdgas erhält dabei erneut eine zentrale Rolle als Übergangsenergieträger – mit finanziellen Folgen vor allem für die Stromkund*innen.

Mit Erdgas zur „Technologieoffenheit“

Reiches neuer Zehn-Punkte-Plan basiert auf dem aktuellen Monitoringbericht zur Energiewende und setzt auf einen „pragmatischeren und realistischeren“ Weg zur Klimaneutralität bis 2045. Dazu gehört das Ende des bisherigen Fokus auf grünen Wasserstoff (H2). Stattdessen will Deutschland nun auch blauen beziehungsweise kohlenstoffarmen Wasserstoff nutzen, der aus Erdgas hergestellt wird.

Bei der Herstellung von blauem Wasserstoff wird Erdgas zu Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) umgewandelt. Das CO2 wird abgeschieden und entweder dauerhaft in tiefen Gesteinsschichten gespeichert (Carbon Capture and Storage, CCS) oder industriell weiterverwendet (Carbon Capture and Utilization, CCU). Entscheidend ist, dass es nicht wieder in die Atmosphäre entweicht.

„Das Monitoring ist keineswegs ein Abgesang auf die Klimaziele oder ein Alibi zur Verlangsamung der Transformation der Energiewirtschaft“, meint Prof. Dr. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW). „Es markiert vielmehr den Beginn eines konsequenten Kurswechsels in der Energiepolitik: weg von zu kleinteiligen Vorgaben an einer Stelle und Regelungslücken an anderer Stelle, hin zu einer praxisorientierten, technologieoffenen Betrachtung des Transformationspfades der Energiewirtschaft.“

Ein ganz anderes Bild zeichnen Umweltorganisationen wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Zwar sei der Einstieg in eine CSS-Wirtschaft für Öl- und Gaskonzerne sehr profitabel, allerdings entstünden dadurch „unkalkulierbare und generationsübergreifende Risiken“ für Ökosysteme, Gesundheit und Klima, heißt es etwa in einem entsprechenden Infobeitrag. Eine bereits Ende 2024 veröffentlichte Analyse der Organisation Greenpeace wiederum zeigt, dass CCS bis 2045 Kosten von bis zu 81,5 Milliarden Euro verursachen könnte – ohne nennenswerte Klimaschutzerfolge und mit dem Effekt, den fossilen Ausstieg zu verzögern.

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Neuer Kapazitätsmarkt

Kernstück der Reform ist der geplante Kapazitätsmechanismus (KKM), also ein zweistufiger Kapazitätsmarkt, der sichere Einnahmen für steuerbare Kraftwerke garantiert – insbesondere für erdgasbetriebene, „H2-ready“ Anlagen.

  • Im zentralen Kapazitätsmarkt erhalten neue Anlagen langfristige Zahlungen für ihre Leistung. Diese werden über eine neue Umlage auf den Stromrechnungen finanziert.
  • Im dezentralen Segment müssen Energieversorger Kapazitätszertifikate nachweisen. Entweder erbringen sie diese Leistung selbst, etwa durch Speicher oder Lastmanagement, oder sie kaufen die Zertifikate ein. Auch diese Kosten werden letztlich an die Stromkund*innen weitergegeben.

Zwar sinkt ab 2026 durch den Wegfall der Gas-Speicherumlage – gesetzlich verankert in § 35e Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) – der Gaspreis etwas. Doch auf der Stromseite entsteht eine zusätzliche Belastung: neue Umlagen, die die Kosten für Privathaushalte und Unternehmen erhöhen.

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Was bringt „blauer“ Wasserstoff?

Theoretisch kann blauer Wasserstoff Emissionen reduzieren, wenn das CO2 dauerhaft gespeichert wird. Der Weltklimarat (IPCC) bestätigt, dass CCS unter den richtigen Bedingungen dauerhaft wirken kann. In der Praxis ist die Technologie aber teuer, umstritten und bisher wenig verbreitet.

Hinzu kommt das Problem der Methan-Emissionen entlang der Erdgas-Lieferkette. Laut dem Methan-Tracker 2025 der Internationalen Energieagentur (IEA) sind die Emissionen aus Öl- und Gasförderung weiterhin auf Rekordniveau – obwohl es günstige Lösungen gäbe, sie zu senken. Schon geringe Leckagen können den Klimavorteil von blauem Wasserstoff zunichtemachen.

Grafik: Methan-Emissionen aus Öl- und Gasförderung 2010–2024
Methan-Emissionen aus Öl- und Gasförderung 2010–2024: Der Großteil entsteht im Upstream-Bereich (Förderung und Verarbeitung), kleinere Anteile stammen aus Downstream-Prozessen, großen Einzelereignissen und stillgelegten Anlagen. Trotz vorhandener Technologien bleiben die Emissionen auf hohem Niveau. Credit: International Energy Agency

Hinzu kommen die Risiken der Kohlendioxid-Abscheidung und -Speicherung. Zwar gilt die unterirdische Speicherung von CO2 bei sorgfältiger Standortwahl und Überwachung als sicher, dennoch bestehen Restunsicherheiten. Mögliche Leckagen über alte Bohrlöcher oder geologische Störungen könnten das Gas wieder freisetzen und den Klimanutzen binnen kürzester Zeit zunichtemachen. Zudem erfordert die Langzeitspeicherung eine dauerhafte Kontrolle.

Die Europäische Kommission hat 2025 definiert, dass sogenannter kohlenstoffarmer Wasserstoff mindestens 70 Prozent Treibhausgas-Einsparung gegenüber fossilen Vergleichswerten erzielen muss. Ob diese Vorgabe unter realen Bedingungen eingehalten wird, ist fraglich.

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Deutschlands Netz-Realität

Die Bundesregierung plant Ausschreibungen für bis zu 20 Gigawatt neuer steuerbarer Leistung – überwiegend Gaskraftwerke. Der Schwerpunkt soll im Süden Deutschlands liegen, wo nach dem Atomausstieg und wegen Netzengpässen besondere Risiken bestehen.

Diese Anlagen sollen in den ersten Jahren mit Erdgas laufen, später aber auf Wasserstoff umgestellt werden. Voraussetzung ist jedoch ein funktionierendes Wasserstoff-Kernnetz und eine Infrastruktur für CO2-Transport und -Speicherung. Solange keine verbindlichen Umrüstfristen festgelegt sind, könnten neue fossile Strukturen allerdings dauerhaft bestehen bleiben.

Klar ist: Gasunternehmen und Kraftwerksbetreiber profitieren von Einnahmesicherungen. Die Kosten tragen Stromkund*innen – über eine neue Umlage im zentralen Kapazitätsmarkt und weitergereichte Zertifikatskosten im dezentralen Teil. Die Bundesregierung verweist auf Versorgungssicherheit und warnt in einem aktuellen Bericht der Bundesnetzagentur, dass ohne neue steuerbare Kapazitäten das Netz an seine Grenzen stoßen könnte. Angesichts ohnehin hoher Strompreise in Europa sind zusätzliche Belastungen politisch heikel.

Quellen: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie; „Energiewende. Effizient. Machen. Monitoringbericht zum Start der 21. Legislaturperiode“ (EWI, 2025); Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches; Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland; Greenpeace Deutschland; Gesetze im Internet; Intergovernmental Panel on Climate Change; International Energy Agency; Europäische Kommission; Bundesnetzagentur

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