Gazprom richtet seine Energiepolitik neu aus: Nach dem drastischen Rückgang der Pipeline-Lieferungen nach Europa fokussiert sich der russische Konzern zunehmend auf Flüssigerdgas (LNG). Der Aufsichtsrat gab grünes Licht für den Bau neuer LNG-Anlagen und den Ausbau bestehender Kapazitäten – darunter das Großprojekt Ust-Luga nahe St. Petersburg.
Gazprom baut massiv aus
Ust-Luga gilt als Herzstück der neuen Strategie. Bis 2027 soll dort eine LNG-Anlage mit einer Jahreskapazität von 13 Millionen Tonnen entstehen. Parallel baut Gazprom kleinere LNG-Werke im Inland aus, etwa das bereits laufende Portowaja-Werk an der Ostsee mit rund 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr.
Ob die ehrgeizigen Zeitpläne realistisch sind, ist ungewiss. Seit dem Rückzug westlicher Zulieferer*innen fehlen dem Konzern entscheidende Komponenten für Verflüssigung und Transport von Erdgas.
Den Richtungswechsel erzwingen auch politische Rahmenbedingungen. Die Europäische Union verabschiedete Ende Oktober ihr 19. Sanktionspaket gegen Russland. Es sieht vor, den Import von russischem LNG ab 1. Januar 2027 vollständig zu untersagen. Kurzfristige Lieferverträge dürfen bereits ab Frühjahr 2026 nicht mehr verlängert werden. Außerdem wird das Umladen russischer LNG-Frachten in EU-Häfen verboten.
Laut dem Statistischen Amt der EU entfielen 2024 noch etwa 17,5 Prozent der LNG-Importe der EU auf Russland, während 45 Prozent aus den USA stammten. Die Pipelineexporte Russlands in die EU sind seit 2021 bereits von über 40 Prozent Marktanteil auf rund elf Prozent im Jahr 2024 gefallen.

Technologischer Engpass und Rekordschulden
Die technische Abkopplung vom Westen bleibt Gazproms Schwachpunkt. Seit 2022 darf der Konzern keine westliche LNG-Technologie mehr importieren. Das betrifft insbesondere Verdichter und Wärmetauscher westlicher Hersteller wie Linde oder Air Products. Gazprom versucht, die Lücke mit Eigenentwicklungen oder chinesischen Alternativen zu schließen, doch Global Energy Monitor zufolge gelten diese Systeme als unzuverlässig und kaum erprobt.
Russische Forschungsinstitute arbeiten im Auftrag von Gazprom an eigenen Technologien, etwa an mobilen Kryo-Containern für den Transport von Flüssigerdgas. Diese wurden Anfang Oktober 2025 auf dem Petersburger Gasforum vorgestellt. Sie sollen künftig kleinere LNG-Anlagen flexibler machen und die Abhängigkeit von westlichen Zulieferern verringern. Allerdings gelten solche Eigenentwicklungen als Notlösung: Sie seien technologisch noch nicht ausgereift und könnten westliche Anlagen in Effizienz und Sicherheit bislang nicht ersetzen.
Auch finanziell steht der Konzern unter Druck. Aus Gazproms Halbjahresbericht 2025 gehen Gesamtschulden von mehr als 6 Billionen Rubel hervor, das entspricht rund 63 Milliarden Euro. Zusätzlich klagt Gazprom gegen ehemalige Partner – etwa gegen Linde auf 220 Millionen Euro Schadensersatz. Ziel ist, Verluste aus gestoppten Projekten teilweise auszugleichen.
Topaktuell
Zwischen Strategie und Zwang
Während Russland seine LNG-Offensive vorbereitet, bauen die USA und Katar ihre Exportkapazitäten weiter aus. Nach Angaben der US-amerikanischen Energiebehörde waren die Staaten bereits 2024 der weltweit größte LNG-Exporteur. Bis 2029 sollen die Kapazitäten um 13,9 Milliarden Kubikfuß pro Tag steigen – das entspricht einem Zuwachs von rund 118 Millionen Kubikmetern pro Tag.
Katar plant, seine Förderung bis 2030 auf 142 Millionen Tonnen pro Jahr auszubauen. Langfristverträge mit China und Indien sichern große Teile der asiatischen Nachfrage ab. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur wird der weltweite LNG-Handel bis 2035 voraussichtlich um rund 70 Prozent zunehmen – getrieben durch China, Indien und andere Schwellenländer. Für Gazprom bedeutet das verschärften Wettbewerb in den Zielmärkten Asiens.
Gazproms LNG-Offensive ist weniger Ausdruck wirtschaftlicher Stärke als eine Reaktion auf Zwangslagen: Sanktionen, Technologie-Embargos und hohe Schulden zwingen den Konzern zur Neuausrichtung. Ob Russland mit seinen neuen Anlagen in Asien tatsächlich Fuß fassen kann, bleibt fraglich – die Konkurrenz aus den USA und Katar ist technologisch und finanziell weit überlegen.
Der Konzern steht damit sinnbildlich für Russlands Bemühung, geopolitische Einbußen durch größere industrielle Eigenständigkeit zu kompensieren. Ob daraus ein tragfähiges Zukunftsmodell oder ein teures Experiment wird, hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Zeit und technologischem Zugang.
Quellen: Amtsblatt der Europäischen Union; Eurostat; Global Energy Monitor; Gazprom; U.S. Energy Information Administration; International Energy Agency
Hinweis: Ukraine-Hilfe
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