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Lars Eidinger: „In der DDR war nicht alles schlecht“

Lars Eidinger ist im neuen Polit-Drama „Nahschuss“ zu sehen. Darin wird die Todesstrafe in der DDR thematisiert. Welche Erinnerungen der in West-Berlin geborene Schauspieler mit der Mauer verbindet, erzählt er im Interview.

Lars Eidinger spielt im Polit-Drama "Nahschuss" die Hauptrolle. Foto: Alamode Film/Franziska Stünkel

Vor über 30 Jahren fiel die Berliner Mauer und noch immer gibt es einige Kapitel in der Geschichte der DDR, die nicht allen bekannt sind. Das Polit-Drama „Nahschuss“, das am 12. August in den deutschen Kinos startet, thematisiert das Leben von Dr. Werner Teske. Er wurde 1981 als letzter Mensch in der Deutschen Demokratischen Republik zum Tode verurteilt und hingerichtet.

In der Hauptrolle glänzt Ausnahmetalent Lars Eidinger (45). Er spielt den frisch promovierten Franz Walter, der beim Ministerium für Staatssicherheit arbeitet und langsam daran zerbricht. „Ich war 13 Jahre alt, als die Mauer gefallen ist und für mich war sie ganz selbstverständlich“, blickt der Schauspieler, der in West-Berlin geboren und aufgewachsen ist, im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news zurück.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das erste Mal das Drehbuch zu „Nahschuss“ gelesen haben?

Lars Eidinger: Ich habe mich für den Film entschieden, noch bevor ich überhaupt das Drehbuch gelesen habe. Ich habe Franziska Stünkel [Regie und Drehbuch] in Hamburg getroffen, weil sie mir von einem Filmprojekt erzählen wollte. Sie hat mir nur die Geschichte erzählt und das hat mich bereits eingenommen. Das ist drei oder vier Jahre her und seitdem standen wir in Kontakt. Irgendwann hat sie mir das Drehbuch geschickt und das fand ich sensationell. Es reizt mich, wenn ich zentrale Figuren spiele, über die eine ganze Geschichte erzählt wird. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, das nachzuempfinden und nachzuleben. Es war eine sehr lustvolle, sehr intensive Arbeit.

Der Film ist an die Lebensgeschichte von Dr. Werner Teske angelehnt. Er war das letzte Hinrichtungsopfer der DDR. Wussten Sie vor dem Film über die Todesstrafe in der DDR Bescheid?

Eidinger: Ich glaube, das weiß kaum jemand. Selbst Devid Striesow, der in der DDR groß geworden ist, wusste das nicht. Ich finde es wichtig, diesen Teil der Geschichte den Leuten aufzuzeigen. Aber auch, welche Zwänge dazu führen, dass man überhaupt Teil dieses Systems wird. Oft ist man rückwirkend verführt zu sagen: Ich wäre im Widerstand gewesen. Aber im Film wird gezeigt, welchen Zwängen die Menschen unterworfen waren. Du willst ihn nicht bespitzeln, dann wird deine Mutter nicht operiert. Wer würde da widerstehen? Man macht es nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus einem Zwang heraus. Die Menschen erlegen sich diese Zwänge gegenseitig auf. Jemand wird unter Druck gesetzt, dieser macht das wiederum mit anderen Menschen. Es ist eine Massenbewegung. Die Mehrheit war verstrickt in diesem System. Nur wenige Leute konnten sich entziehen. Schließlicht ist man sofort in Ungnade gefallen, wenn man nicht für die Staatssicherheit arbeiten wollte. Das ist schon ein wahnsinniger Druck.

Sie wurden 1976 in West-Berlin geboren. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der DDR?

Eidinger: Gar nicht so viele, wie man denken würde. Ich war 13 Jahre alt, als die Mauer gefallen ist und für mich war sie ganz selbstverständlich. Ich habe die Mauer nie infrage gestellt und konnte mir nicht vorstellen, dass sie irgendwann nicht mehr steht. Da ich am Stadtrand groß geworden bin, war sie immer präsent. Dahinter war aber nur Wald. Mich hat es nie interessiert, was dahinter war. Wenn man nur Bäume sieht und einem erzählt wird, wie schlecht es den Leuten dort geht, führt das nicht unbedingt zu einem Interesse. Und das ist ein wichtiger Punkt, dass man sich für das andere System und für diese andere Welt interessiert. Dass man erstmal versucht zu verstehen, was eigentlich los war. Ohne dass man es bewertet und sagt: Das eine System war gut und das andere war schlecht.

Also denken Sie nicht, dass das System in der DDR nur schlecht war?

Eidinger: Das denke ich nicht. Dazu bin ich viel zu sehr von der DDR sozialisiert worden. Ich habe auf der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst in Schöneweide studiert – es war eine Schauspielschule der DDR. Mein erstes Engagement hatte ich am Deutschen Theater in Mitte. Das heißt, ich bin wahnsinnig geprägt von Schauspielern und Dozenten, die alle in der DDR gelebt haben.

Wie stehen Sie dazu, dass manche Leute die DDR-Zeiten romantisieren?

Eidinger: Ich sehe eine Gefahr in der Verharmlosung. Dass das System nicht ernst genommen wird und man so tut, als ob in der Staatssicherheit nur Trottel gearbeitet hätten. Damit wird den Leuten Unrecht getan, die unter diesem System gelitten haben. Deshalb ist es wichtig, zu zeigen, dass es die Todesstrafe gab. Menschen fielen diesem System zum Opfer. Aber deshalb war per se nicht alles schlecht. Dafür habe ich eine viel zu große Sympathie mit der Idee des Kommunismus oder Sozialismus. Und dafür ist meine Kritik am Kapitalismus wiederum viel zu groß.

Sie meinen, es war nicht alles schlimm?

Eidinger: Ich habe vor Kurzem mit einer Maskenbildnerin in Köln zusammengearbeitet. Sie ist aus der DDR geflohen. Sie hatte damals noch unter Heiner Müller am Berliner Ensemble gearbeitet. Sie und alle anderen haben ein Gastspiel dazu genutzt, um zu fliehen – alle Schauspieler waren schon vor der Premiere weg. Ich hatte das Gefühl, dass die Frau ein Bewusstsein für das System hatte und bewusst geflohen ist – auch aus dem Gedanken des Widerstandes. Aber sie hat auch von freier Liebe erzählt. Man hat es im Westen probiert, in der DDR wurde es gelebt. Sie tanzten nackt auf den Dächern über dem Prenzlauer Berg. Daher rühren Sätze wie: So schlimm war es gar nicht. Natürlich hatten die Menschen auch eine gute Zeit. Es war nicht immer alles nur trist in der DDR. Das ist viel zu einfach gedacht.

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