Veröffentlicht inDigital Life

Homo Digitalis: Upgrade für mein Gehirn? Nein, danke!

Müssen wir uns selbst irgendwann technologisch nachrüsten lassen, damit wir mit unserer eigenen Technologie noch Schritt halten können?

Illustration Mensch und Universum
Kann sich der Mensch ohne technologisches Zutun nicht mehr weiterentwickeln? Foto: BR

Der Mensch als digitales Wesen, als Homo Digitalis, steht im Zentrum der Web-Doku-Serie von arte, dem Bayerischen Rundfunk und dem ORF. In der zweiten Folge „Die Zukunft des Denkens: Ein Upgrade für dein Gehirn“ widmen sich die Wissenschaftler der Frage, ob wir irgendwann dazu gezwungen sind, unser Gehirn technologisch aufzurüsten, um den Anschluss nicht zu verlieren.

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Dass wir die Entwicklung von Technologie rasant vorantreiben, ist kein Geheimnis. Künstliche Intelligenz, zum Beispiel, ist längst kein Ausdruck mehr, der wissenschaftlichen Kreisen vorbehalten ist, er hat es in den Alltag geschafft. Diverse Produkte und Anwendungen nutzen das KI-Label – so scheint es – oft auch einfach nur als verkaufsförderndes Schlagwort, denn selbstverständlich muss alles heutzutage auch intelligent sein. Der Mensch möchte so wenig wie möglich selbst machen. Von der Angst, nicht mithalten zu können, zeugt das auf den ersten Blick also nicht. Eher davon, die eigenen Fähigkeiten bereitwillig in die Hände der Maschinen zu legen.

„2025 sind Computer schlauer als Menschen“

Ian Pearson, Futurologe, sieht die derzeitige Leistungsfähigkeit von Computern sehr nah am menschlichen Niveau. Er ist davon überzeugt, dass sie bereits 2025 schlauer sein werden als der Mensch.

Bertolt Meyer sagt, frühzeitige Prognosen zur Überlegenheit von Computern gegenüber Menschen hätten sich schon in der Vergangenheit nie bewahrheitet.
Bertolt Meyer sagt, frühzeitige Prognosen zur Überlegenheit von Computern gegenüber Menschen hätten sich schon in der Vergangenheit nie bewahrheitet.
Foto: BilderfestGmbH

Doch was heißt „schlau“ im Zusammenhang mit Computern? Laut Tech-Psychologe Bertolt Meyer von der TU Chemnitz sind Computer dem menschlichen Gehirn in bestimmten Belangen deutlich voraus, zum Beispiel beim Erkennen von Zusammenhängen. Das Lösen normaler Alltagsprobleme beherrschen sie dagegen noch lange nicht. Und auch wenn künstliche Intelligenz und Machine Learning heute schon dafür sorgen, dass digitale Sprachassistenten einfache Anfragen beantworten können, warnt Meyer vor frühzeitigen Prognosen: „Wir lagen mit solchen Vorhersagen bisher immer falsch.“

Wie sinnvoll ist ein Upgrade fürs Gehirn?

Wozu braucht es also ein „Upgrade“ für das menschliche Gehirn, und warum mithalten, wenn wir uns von Computern schon jetzt alles abnehmen lassen wollen? Rein medizinisch betrachtet ist eine solche Überlegung durchaus sinnvoll. In Form von „Hirnprothesen“, so Meyer, könnten technologische Komponenten im Gehirn Krankheiten wie Alzheimer lindern oder die feinmotorische Steuerung anderer Prothesen möglich machen. Geht es dagegen um „Enhancement“, also die Erweiterung der eigenen, normalen Fähigkeiten mit Hilfe von Technologie, sieht die Frage nach der Sinnhaftigkeit schon wieder ganz anders aus.

Eine gruselige Art von Mode-Trend kommt mir dabei in den Sinn, à la „es ist gerade total in, abstrakt malen zu können, ich lade mir diese Fähigkeit mal eben runter“. Auf der anderen Seite würde ich definitiv nicht Nein sagen, wenn ich dadurch beispielsweise auf die Schnelle verschiedenste Sprachen beherrschen könnte.

Die Angst vor der Zwei-Klassen-Gesellschaft

Welche gesellschaftlichen Konsequenzen eine solche Technologie mit sich bringen würde, ist im Moment überhaupt nicht abzusehen. Best Case in meinen Augen: „Enhancement“. Ist für alle Gesellschaftsgruppen ohne Einschränkungen verfügbar, wird gut und unabhängig reguliert und verschafft niemandem einen Vorteil gegenüber anderen.

Worst Case: Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der „Fähigkeiten-Downloads“ nicht jedem zur Verfügung stehen, weil sie für viel Geld vermarktet werden können, gleichzeitig aber die Voraussetzung für den Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Bereichen wie speziellen Berufsgruppen darstellen, sodass ein sozialer Druck zum „Upgrade“ besteht.

Wenn Science Fiction zu „Science Fact“ wird

Wenn man wie ich nicht zwingend dazu neigt, in Technologien nur das Positive zu sehen, lässt sich leicht ein ähnlich düsteres Bild zur Manipulation von Erinnerungen zeichnen. Angekündigt wurde diese Thematik im zweiten Beitrag der „Homo Digitalis“-Reihe mit der kindlichen Vorstellung, sich im Supermarkt Urlaubserinnerungen auf einem USB-Stick zu kaufen.

In der Realität gab es erste erfolgreiche Experimente dazu an der Universität Harvard, in denen – um es mit den blumigen Worten des Harvard-Neurowissenschaftlers Steve Ramirez auszudrücken – aus der einstigen Science Fiction bereits jetzt ein „Science Fact“ gemacht wurde. Alles, was dazu nötig war, war die genetische Veränderung bestimmter Gehirnzellen von Mäusen, sodass diese auf Licht reagieren. Per Laser können so Ängste bei den Tieren ausgelöst werden, die eigentlich jeglicher Grundlage entbehren.

Chip im Hirn oder manipulierte Erinnerungen - so könnte die Zukunft aussehen.
Chip im Hirn oder manipulierte Erinnerungen – so könnte die Zukunft aussehen.
Foto: BR

Wer bin ich ohne meine Erinnerungen?

Mein erster Eindruck lag fern von Sandstränden und Palmen. Aber fangen wir mit „harmlosen“ Zukunftsprognosen an: Lassen sich menschliche Erinnerungen verändern, könnte eine neue Art von Droge entstehen, die Realitätsflucht auf eine bisher unbekannte Ebene hebt. Dem vorausgesetzt ist natürlich, dass Menschen selbst die Entscheidung zur Manipulation treffen.

Ganz anders wird es bei Fremdeinwirkung. Woher weiß ich, dass nicht jemand meine Erinnerungen zu seinem Vorteil verfremdet hat? Richtig, im schlimmsten Fall weiß ich es eben nicht, denn ich halte es für meine Erinnerung. Und gehen wir noch einen Schritt weiter: Verändert sich am Ende nicht meine Persönlichkeit, die ein Produkt meiner Erfahrungen und Erinnerungen ist?

Technologie ist, was die Gesellschaft daraus macht

Meyer schafft zum Glück Abhilfe. Er sagt, dass solche Entwicklungen von vornherein juristisch verboten werden würden; Entsprechende regulatorische Ansätze, aber auch Regularien für Technik, die es noch gar nicht gibt, wären auf europäischer Ebene bereits in der Diskussion.

Tatsächlich sieht aber auch er keine positiven Anwendungsfälle für die Manipulation von Erinnerungen. Er glaubt dennoch nicht, dass Technologien per se gut oder schlecht sind (mit Ausnahme vielleicht von Massenvernichtungswaffen). Eher, dass es eine Frage der Gesellschaft ist, wie sie mit der Technologie umgeht. Die Verantwortung liegt also bei uns, den Nutzen so groß wie möglich zu halten.

„Gesellschaftliche Leitplanken“ für die richtige Richtung

Zu meiner Frage, ob wir das Gehirn nicht zuerst entschlüsseln sollten, bevor wir anfangen, mit Technologie darauf Einfluss zu nehmen, hat Bertolt eine klare Meinung: „Menschen können die Folgen ihres Handels auf komplexe Systeme nie abschätzen, wir sind wahnsinnig schlecht darin.“ Aber darum gehe es auch gar nicht.

Wichtig sei die „Errichtung gesellschaftlicher Leitplanken“, die der Technologieentwicklung eine grobe Richtung vorgeben. Ich persönlich kann damit gut leben, auch wenn ich mich entgegen Meyers Meinung noch schwer damit tue, daran zu glauben, dass die Ausarbeitung solcher Regularien mit dem technologischen Fortschritt immer Schritt halten kann.

Fazit

Also ruhe ich mich erst einmal auf dem Gedanken aus, dass die Ära des vernetzten Gehirns wohl noch etwas auf sich warten lässt, selbst wenn auf vielen Gebieten schon fleißig damit experimentiert wird. Beruhigend finde ich außerdem, das selbst gestandene Tech-Größen wie Elon Musk und Bill Gates absolute Gegner intelligenter Maschinen sind. Und die müssen es wissen, sie stecken ja mittendrin.

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