Viele mittelständische Unternehmen und auch große Konzerne wollen heutzutage clean, agil und innovativ sein oder kurz gesagt: wie ein Start-up. Ein dabei oft eingeschlagener Weg ist, die Start-up-Kultur zu kopieren. Ich glaube, das ist ein Fehler. Die Hoffnung, dadurch leichter mit den Herausforderungen der Digitalisierung zurecht zu kommen, indem sich alle bis hinauf zur Unternehmensspitze duzen, wird enttäuscht werden. Vielmehr gerät damit etwas aus dem Blick, was für den Erfolg von größeren Betrieben und Unternehmen wichtig ist: Die Diversität von Organisationen.
Alle wollen es, aber keiner weiß wie
Dass die Digitalisierung notwendige Anpassungen erfordert, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Darüber wie diese Veränderungen sich in der Praxis am besten realisieren lassen, herrscht immer noch große Verwirrung. Einer der digitalen Pioniere der Stahlbranche, Gisbert Rühl, CEO von Klöckner & CO, formulierte es einmal so: „Egal, welche tollen Dinge in Innovationsbereichen entwickelt werden, wenn die restliche Organisation nicht mitspielt und darin nicht die Zukunft sieht, wird es nichts werden.“
Unternehmen sind Organisationen mit zum Teil enormer Diversität. Dort gibt es Menschen diverser Generationen, unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Bildung und so weiter. Wenn Organisationsstrukturen langfristig verändert werden sollen, müssen dabei alle mitgenommen werden. Darum dürfen die Strukturen in einem etablierten Unternehmen nicht nur nach den Bedürfnissen der Generation Y oder Z ausgerichtet werden. Auch die älteren Generationen tragen maßgeblich zum Erfolg von Unternehmen bei und darum ist es wichtig, alle Mitarbeiter in den Transformationsprozess einzubeziehen, und diesen kontinuierlich zu begleiten.
Beim Kulturwandel gibt es kein Erfolgsrezept
Natürlich stimmt es, dass die neue, digitale Arbeitswelt den nahbaren Chef oder die nahbare Chefin braucht. Denn nur wenn Führungskräfte die Veränderungen leben und dadurch zu Vorbildern werden, können sie andere von ihrer Botschaft überzeugen und sie mitnehmen. Noch viel allgemeiner lässt sich formulieren, dass es entscheidend ist, dass die interne Kommunikation in Unternehmen über alle Hierarchien und Strukturen wie Abteilungen hinweg besser als je zuvor funktionieren muss. Um das zu erreichen, bringt es aber nichts, einfach die Start-up-Kultur zu kopieren. Nicht alles, was in einem Start-up Sinn macht, macht in einem mittelständischen Unternehmen oder einem großen Konzern Sinn.
Welches konkrete Format für welches Unternehmen am besten geeignet ist, lässt sich aber nur schwer voraussagen. Jedes Unternehmen muss sich seine eigenen Strukturen anschauen und Formate finden, die zur Unternehmenskultur und zu den Menschen in den Unternehmen passen. Wichtiger als die Frage, ob sich alle duzen, ist das übergeordnete Ziel, dass beispielsweise Mitarbeiter aus dem Marketing heute verstehen müssen, was die IT-ler machen – und umgekehrt. Die neue Arbeitswelt erfordert stärker als zuvor einen generalistischen Ansatz, der jenseits der Logik von Abteilungen und Fachbereiche funktioniert. Darum sage ich: Lieber eine authentische Nahbarkeit von Führungskräften in einer Siez-Kultur als eine vermeintliche Nahbarkeit in einer nicht funktionierenden Duz-Kultur.
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Mut zur Freiheit und Mut zum Experiment
Wenn schon nicht als Kopier-Vorlage, so können Start-ups durchaus als Inspirationsquelle genutzt werden. Denn nicht so sehr die Ergebnisse sind interessant, zu denen Start-ups gefunden haben, sondern der Weg, auf dem sie zu ihnen gekommen sind. Start-ups haben den Vorteil, dass sie ihren Mitarbeitern viel Freiräume überlassen und viel Freiheiten geben können. Sie können sich vermeintlich viel leichter den Mut leisten, ihre Mitarbeiter mit neuen Arbeitsformen experimentieren zu lassen. Ich denke aber, dass sich dieser Mut immer auszahlt. Gerade weil wir heute eine Situation erleben, in der die Vertreter unterschiedlicher Generationen voneinander lernen können, lohnt es sich, unterschiedliche Formate auszuprobieren, in denen ein Wissenstransfer stattfinden kann.
Tijen Onaran ist Unternehmerin, Moderatorin, Speakerin und Kolumnistin. Mit startup affairs berät sie Unternehmen in der PR- und Öffentlichkeitsarbeit und engagiert sich mit ihrer Initiative Global Digital Women für die Vernetzung und Sichtbarkeit von Frauen in der Digitalbranche. Vor ihrer Selbstständigkeit war Tijen Onaran für Europa-, und Bundestagsabgeordnete, für das Bundespräsidialamt sowie für Verbände und eine Hochschule in leitenden Funktionen tätig. Wer sich mit ihr trifft, muss erst an Paul, Cocker Spaniel adeliger Herkunft, und Leo, Labrador-Mix exotischer Herkunft, vorbei.