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Tesla Model X im Test: Teuer aber genial

Das Tesla Model X ist eine Mischung aus SUV, Elektroauto, Raumschiff und Tanzclub. Zu diesem Schluss kommt unser Autor nach einer Woche ausgiebigen Testens.

Tesla Model X
Der Tesla Model X quasi vor einer seiner Nahrungsquellen. Foto: David Kotrba

Manchmal sind Fronten gar nicht so verhärtet, wie es zunächst den Anschein macht. Wenn man genug Geld hat, muss man sich nicht zwischen den vermeintlichen Kontrahenten SUV und Elektroauto entscheiden, man kann auch beides haben. Seit 2016 kann man sich das Tesla Model X zulegen, ein fünf Meter langes und 2,4 Tonnen schweres Ungetüm, das direkt aus einem Science-Fiction-Film zu kommen scheint. Ich konnte das Tesla Model X eine knappe Woche lang testen. Weil Akkus niedrige Temperaturen nicht so gern haben, fand dies quasi unter erschwerten Bedingungen statt.

Der Testwagen, den Tesla mir zur Verfügung stellte, war ein Model X P90D. Mit wuchtigen Außenmaßen, 20-Zoll-Reifen und drei Sitzreihen zählt das Model X zu den großen SUVs. Die wichtigsten Erkennungsmerkmale: Ein 90-Kilowattstunden-Akku für 360 Kilometer Reichweite, ein 568 kW (773 PS) starker Allradantrieb und ein Antritt von Null auf 100 in 3,4 Sekunden.

Erhobene Schwingen

Ins Auge sticht aber zuallererst etwas anderes: die so genannten „Falcon Wing Doors“ für die Passagiere der zweiten und dritten Reihe.Wenn man keine allzu rasanten Ampelstarts hinlegt, fällt man mit dem Model X im aktuellen Straßenbild kaum auf. Erst wenn man stehenbleibt und die Türflügel sich mit einem Warnton und elektrischem Surren öffnen, erregt der Koloss richtig viel Aufmerksamkeit. Aus dem Inneren strahlen weiße Ledersitze mit glänzenden, schwarzen Rückenabdeckungen. Klapptische würden das futuristische Innere stören. Für die flüssige Ernährung der Insassen stehen immerhin jede Menge Getränkehalter zur Verfügung.

Im Zentrum des Armaturenbretts prangt das bekannte 17-Zoll-Riesendisplay im Hochformat. Viele Knöpfe findet man im Model X nicht. Zwischen den Vordersitzen suchen die meisten Besucher nach einem Knüppel, einem Drehrad oder irgendetwas, das nach Getriebesteuerung oder Handbremse aussieht – vergeblich. Ein Wahlhebel rechts neben dem Lenkrad reicht, um zwischen Vorwärts, Rückwärts, Leerlauf und Parken zu wechseln. Gerade die Parkstellung wird zu Beginn skeptisch ausprobiert, aber sie funktioniert.

Der zentrale Touchscreen enthält alles, was man sonst noch zum Fahren braucht. Hier werden sämtliche Feineinstellungen vorgenommen, hier wird navigiert, hier verbindet man das Smartphone mit dem Auto, hier sieht man Verbrauchsstatistiken, und hier sieht man das Bild der Rückfahrkamera. Der natürliche Blick nach hinten ergibt wenig. Die Kopfstütze des Mittelsitzes in der zweiten Reihe blockiert die Sicht im Rückspiegel, der fehlende Heckscheibenwischer trägt ebenso wenig zur Übersicht bei.

Panoramafenster

Der Blick nach vorne hingegen ist zunächst fantastisch. Die Windschutzscheibe zieht sich bis über den Kopf empor. Bei hoch hängenden Ampeln muss man nicht den Rücken verrenken, man schaut einfach nach oben. Wenn man nicht gerade in Parkgaragen rangieren muss, ist das Fahren mit dem Model X ein Genuss. Bei niedrigen Geschwindigkeiten rollt man fast lautlos dahin. Lässt man das Gaspedal los, greift die Stromrückgewinnung und bremst das Auto ab. Mit ein wenig Feingefühl benötigt man das Bremspedal nur für den völligen Stillstand.

Reisen lassen sich am großen Display wunderbar planen. Als Navigationssystem dient Google Maps. Die dafür notwendige Internetverbindung läuft über LTE-Mobilfunk. Die Gebühren dafür sind bei Tesla im Kaufpreis inkludiert, genauso wie werbefreie Spotify- und TuneIn-Abonnements. Als WLAN-Hotspot kann man das Auto aber nicht verwenden. Ein Webbrowser lässt sich zwar am Display aufrufen. Der Seitenaufbau ist allerdings langsam. Online-Videos kann man damit nicht abspielen. Mit dem Smartphone ist man insofern besser bedient.

Komfortables Cruisen

Beim Fahren auf längeren Strecken kommen die Autonomiekomponenten von Tesla zur Geltung. Am meisten begeistert hat mich dabei gar nicht der bekannte Autopilot, sondern der „Cruise“-Modus. Der erweiterte Tempomat registriert Fahrzeuge auf der eigenen Spur und passt die Geschwindigkeit an, um den vordefinierten Sicherheitsabstand einzuhalten. Wechselt man auf eine freie Spur, wird die gewünschte Geschwindigkeit sofort wieder eingenommen. Auf Autobahnen und Schnellstraßen muss man auf diese Weise lediglich lenken, hie und da verlangt auch der Tempomat nach einer manuellen Nachjustierung, wenn man neue Geschwindigkeitslimits einhalten will.

Der Autopilot verlangt dagegen nicht nur, dass man beide Hände ständig am Lenkrad behält, auch die beidseitige Erkennung von Begrenzungslinien ist Voraussetzung. Damit kommen wir zum Betrieb bei winterlichen Bedingungen. Das Model X macht dabei grundsätzlich eine gute Figur, allerdings mit Einschränkungen. Der Autopilot fällt bei verschneiten Straßen schon mal aus, was aber nicht weiter stört. Sehr wohl störend ist, dass die Frontscheibe schnell verschmutzt und während der Fahrt nur schwierig zu reinigen ist. Putzflüssigkeit wird nicht mit Düsen auf die Scheibe gesprüht, sondern kommt direkt aus den Scheibenwischern. Deren Wischgeschwindigkeit ist vierstufig einstellbar, wobei zwischen zweiter und dritter Stufe eine große Frequenzlücke klafft. Scheiben wischen Im Cruise-Modus widmet man sich daher neben dem Lenken auch intensiv der Scheibenreinigung.

Die Rückfahrkamera verdreckt bei Fahrten auf regen- oder schneenasser Straße schnell. Für sie gibt es keine Hoffnung, außer einem Taschentuch beim nächsten Stopp. Immerhin haben die Radarsensoren vorne alles im Blick. Trotz möglicherweise getrübter Sicht hat man das SUV-typische Gefühl von Sicherheit. Die Beheizung des Innenraums funktioniert gut. Neben der Mehr-Zonen-Klimaanlage gibt es dreistufige Sitzheizungen für alle Passagiere, selbst für jene in der letzten Reihe. Die großen Glasflächen scheinen relativ viel Kälte ins Auto zu lassen. Ordentliches Einheizen ist umso mehr notwendig.

Gefahrloses Einheizen

Auf die Reichweite hat die Klimaanlage erfreulich wenig Einfluss. Auf dem Hauptbildschirm kann man mitverfolgen, wie sich die Energieverbrauchsprognose Fahrstil und Stromverbrauchern an Bord anpasst. Wie sich nach mehreren Fahrten zeigt, bleibt der Wert auch beim Einheizen relativ konstant. Man braucht sich jedenfalls keine Sorgen zu machen, dass man sein Ziel nur erreicht, wenn man friert. Apropos Wärme: Mit der Tesla-App kann man das Auto aus der Ferne vorheizen. Aufgetankt werden kann das Tesla Model X am Supercharger genauso wie an der Haushaltssteckdose. Die Ladeleistung gibt die Wartezeit vor. Der 90-kWh-Akku verlangt einige Geduld. An einer 22-kW-Ladestelle kann das Auto zum Volltanken schon mal eine ganze Nacht verbringen.

Tanken

Während meines Tests bin ich unter anderem von Wien nach Gmünd in Niederösterreich gefahren. Von anfänglich 360 Kilometer Reichweite waren auf einer tatsächlich 150 Kilometer langen Strecke am Ziel 166 Kilometer Reichweite übrig. Die verbrauchten 194 Kilometer Reichweite sind wohl hauptsächlich den 130 km/h auf der Autobahn, der hügeligen Landschaft und einigen Überholmanövern geschuldet. Das Vollladen an einer 22-kW-Station dauerte 3:40 Stunden. Getankt wurde während des Tests bis auf einen Supercharger-Besuch bei Ladestellen des überregionalen Anbieters Smatrics. Der Ladevorgang in Gmünd hätte je nach Tarif zwischen 6,49 Euro und 32,44 Euro gekostet. Dabei ist zu bedenken, dass Smatrics nach Standzeit abrechnet.

Kaffeelos im Industriegebiet

Gar nicht abgerechnet wird am Tesla Supercharger (wenn der Tesla vor 2017 gekauft wurde). Nach einem Ausflug an den Neusiedlersee habe ich etwa einmal den Supercharger im 23. Wiener Gemeindebezirk ausprobiert. In 25 Minuten stieg die Reichweite von 166 auf 312 Kilometer. Die üblicherweise vorgeschlagene Wartezeit-Beschäftigung „Kaffee trinken gehen“ klappt im Industriegebiet nicht wirklich.

Der aktuelle Ausbaustand der Ladeinfrastruktur für Elektroautos verlangt nach kreativen Lösungen. Im Falle Gmünd ließ ich mich von Verwandten in der Umgebung abholen, verbrachte ein paar Stunden mit ihnen und wurde dann wieder zur Ladestelle chauffiert – in einem Auto mit Verbrennungsmotor. Auch im Berufsalltag kann die Sache mit dem Aufladen ziemlich kompliziert sein. Wer daheim oder am Arbeitsplatz keine Lademöglichkeit vorfindet, braucht derzeit noch viel Enthusiasmus, Freizeit oder Geld, um sein Elektroauto zu betanken.

Planung gefragt

Elektrisch fahren, das betonen Experten immer wieder, verlangt erhöhtes Bewusstsein für die eigene Mobilität. Wer Einsatzzeiten, Routen, Parkmöglichkeiten etc. im Voraus plant, kann damit gut leben. Noch besser leben kann man, wenn man dazu ein Tesla Model X fährt. Die Reichweite von 360 Kilometern bei vollem Ladestand nimmt dem Fahrer viele Reichweitenängste. Was am Model X jedoch am meisten begeistert, ist seine Vielfältigkeit. Abgesehen von den „Falcon Wing Doors“ tritt das Auto als kühles, grundsätzlich neutrales Vehikel auf, aus dem man als Besitzer nach Belieben unterschiedliche Seiten hervorholen kann.

Kostspielige Vielseitigkeit

Das Model X kann ein Transporter für einen Einkauf im Möbelhaus sein, eine Kutsche für Großfamilien, eine Limousine für Geschäftskunden oder eine waschechte Partymaschine. Wer Lust darauf hat, kann daraus eine Rakete machen und selbst mit sieben Personen an Bord reihenweise Ampelduelle gewinnen. Dabei spielt man Wurlitzer mit Spotify, dreht die Soundanlage auf Stufe 10 von 12 auf, und hält die Lautstärke bereits da kaum mehr aus.

Der größte Wermutstropfen an der gesamten Erfahrung war die Tatsache, dass ich das Auto wieder zurückbringen musste. Die Wahrscheinlichkeit, mir selbst einmal ein Tesla Model X leisten zu können, ist gering. Der Kaufpreis der von mir getesteten Variante von 170.000 Euro setzt eine dicke Geldbörse, eine Erbschaft oder einen Lottogewinn voraus. Das Auto ist aber auch günstiger zu haben. Mit einem 75-kWh-Akku (75D) kostet es 103.400 Euro.

Dieser Artikel erschien zuerst auf futurezone.at.

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