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Nobelpreis-verdächtige Entdeckung könnte zum Skandal in der Physik führen

Mit den Ergebnissen einer neuen Studie könnten Physiker die Welt verändert haben. Andere Wissenschaftler halten die Daten für nicht korrekt.

Modell einer Magnetschwebebahn
Supraleitung funktioniert bisher nur bei äußerst niedrigen Temperaturen. Bei Zimmertemperatur wäre sie eine Revolution. Foto: Screenshot YouTube/UDEchannel

Supraleitfähigkeit ist bisher nur bei extrem niedrigen Temperaturen realisierbar. Als Supraleiter gelten dabei Materialien, die beim Unterschreiten einer sogenannten Sprungtemperatur keinerlei elektrischen Widerstand mehr besitzen, was bedeutet, dass Elektronen ungehindert durch sie hindurch fließen können. Die renommierten chemischen Physiker Dev Thapa and Anshu Pandey des Indian Institute of Science in Bangalore haben im Juli einen Bericht an arXiv übermittelt, der den Titel „Supraleitung bei Umgebungstemperatur und -druck in Nanostrukturen“ trägt. Er soll belegen, dass Supraleitfähigkeit auch bei normaler Zimmertemperatur zu beobachten ist.

Supraleitfähigkeit bei Zimmertemperatur löst Schock aus

Das Paper sorgte für helle Aufregung innerhalb der Physik-Community aus. Thapa und Pandey wollen nicht nur Supraleitung bei Raumtemperatur ermöglicht haben, sondern dies auch noch unter der Verwendung von Nanopartikeln aus Gold und Silber, also Materialien, die bisher selbst bei niedrigsten Temperaturen keinerlei Anzeichen von Supraleitfähigkeit gezeigt haben. Trotz der Hoffnungen vieler Physiker wissen Experten auf diesem Gebiet, dass sich zahlreiche vorangegangene „Beweise“ von Supraleitung bei Zimmertemperatur bisher immer schnell zerschlagen haben. Die Skepsis gegenüber Thapa und Pandey war daher von Anfang an sehr groß.

Als Folge kam es zur ausgiebigen Überprüfung der Forschungsdaten durch andere Wissenschaftler. Der promovierte MIT-Physiker Brian Skinner entdeckte dabei eine merkwürdige Korrelation zwischen zwei unabhängigen Messwerten. Die Geräusche, die während zweier einzelner Experimente zum Testen der magnetischen Suszeptibilität von Gold und Silber, also der Magnetisierbarkeit in einem externen Magnetfeld, aufgezeichnet wurden, zeigten einen exakten Zusammenhang. Da Geräusche per Definition jedoch zufällig sind, dürften die in einem Experiment gemessenen Daten nicht denen aus einem anderen Experiment gleichen.

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Skinner sagte dazu gegenüber Motherboard: „Wenn man zwei Messwerte sieht, die zu unterschiedlichen Zeiten und unter leicht verschiedenen Bedingungen entstanden sind, und dennoch das exakt gleiche Muster zufälliger Abweichungen aufweisen, dann ist das sehr ungewöhnlich“. „Es ist noch unklar, was dieses sich wiederholende Geräusch bedeutet. Es könnte ein reales, bisher unbekanntes natürliches Phänomen sein oder ein Artefakt des Messprozesses, das wir auch nicht verstehen. Trotzdem ist es eine ausreichend eigenartige Beobachtung, die Aufmerksamkeit verdient“, so Skinner weiter.

Erinnerung an den jüngsten Skandal unter Physikern

Die Erkenntnis Skinners lässt für viele Forscher einen der größten Skandale der Physik wieder aufleben. Anfang der 2000er Jahre wurde entdeckt, dass der renommierte Physiker Jan Hendrik Schön, der unter anderem auch an Supraleitern arbeitete, die Daten zu diversen Experimenten gefälscht hatte. Am Ende verlor Schön dadurch seinen Doktortitel und musste mehrere Paper zurückziehen. Die Parallele zum jetzigen Fall: Entdeckt wurde Schöns Betrug dadurch, dass eines der Geräuschmuster innerhalb einer von ihm veröffentlichten Grafik dem Geräuschmuster einer anderen Grafik erschreckend ähnlich war.

Thapa und Pandey halten an Ergebnissen fest

Unter Physikern gilt der Vorfall als eine Art Gute-Nacht-Geschichte, die Studenten erzählt wird, damit sie gewissenhaft und vor allem ehrlich arbeiten. Das sorgte unter anderem auch dafür, dass Skinner sehr lang zögerte bis er die von ihm entdeckten Ungereimtheiten öffentlich machte. Er befürchtete nicht zu Unrecht seine Kritik könnte als Anschuldigung aufgefasst werden. Von anderen Physikern erntete er dennoch Respekt für seine Entscheidung: „Ich denke es ist eine absolut wichtige Beobachtung und er hat dem Gebiet einen wahren Dienst erwiesen, nicht nur dadurch, dass er darauf hingewiesen hat — sondern weil er es öffentlich tat“, so Peter Armitage, Physiker an der Johns Hopkins Universität.

Zu seiner Kritik erhielt Skinner eine Antwort von Thapa und Pandey. Die Autoren teilten ihm mit, dass ihnen die ungewöhnliche Korrelation nicht aufgefallen sei, sie würden aber weiterhin daran festhalten, Supraleitung bei Raumtemperatur beobachtet zu haben. Eine Debatte zum Thema war damit unvermeidlich. „Als ich einen Blick auf Skinners Bericht geworfen hatte, dachte ich ‚Game Over'“, sagt David Muller, Physiker an der Cornell Universität. „Es ist kein stichhaltiger Beweis, aber ich wüßte worauf ich wetten würde.“

Pratap Raychaudhuri, Physiker am Tata Institut für Grundlagenforschung in Mumbai, versuchte inzwischen, in einem Facebook-Post zu erklären, auf welche Weise Thapas und Pandeys Daten dennoch legitim sein könnten.

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Eine Option wäre, dass die von Thapa und Pandey aufgezeichneten Geräusche keine Geräusche sind, sondern nur Teil des gemessenen Signals, das durch die Bewegung von Partikeln in einem magnetischen Feld entsteht. Unterhalb einer bestimmten Feldstärke könnte dieses reproduziert werden, da sich die Teilchen nicht vollständig voneinander lösen würden. Nutzten die Forschen also ein Magnetfeld mit gewisser Stärke, schalteten es aus und verwendeten es erneut für die gleiche Probe an Partikeln, hätten diese ihre anfängliche Konfiguration beibehalten, sodass die gleichen Muster zu erwarten wären.

Physiker wird per gefälschter E-Mail bedroht

Damit war die Diskussion jedoch nicht beendet. Raychaudhuri erhielt später eine E-Mail von T.V. Ramakrishnan, einem der bekanntesten Physiker Indiens, der ihn darum bat, „sich in Geduld zu üben und Thapa und Pandey in den sozialen Medien nicht zu kritisieren“. Tatsächlich kam besagte E-Mail aber nicht von Ramakrishnan, sondern der Mail-Adresse „wileslicher@protonmail.com“. Ein Profil unter demselben Namen, Wiles Licher, kontaktierte auch Skinner. Darauf zu finden waren keine Freunde und nur ein Post: „Julius Caesar. The Caesar that did not stop.“ Das Facebook-Konto wurde 16 Tage vor dem Posten des Papers zur Supraleitfähigkeit bei arVix.org eröffnet. Wer dahinter steckt, ist nicht bekannt, die Email-Adresse und das Facebook-Profil sind inzwischen auch gelöscht worden.

Für Raychaudhuri lag das Verblüffende darin, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, eine sorgfältige und enorm glaubwürdige Bedrohung per E-Mail anzufertigen, sie über einen verschlüsselten Server zu schicken, nur um ihn davon abzuhalten, auf Facebook zu schreiben.

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Ergebnisse der Supraleitungsstudie werden geprüft

Ob sich Thapas und Pandeys Theorie bestätigen lässt, ist bisher noch ungeklärt, Die Forscher lassen ihre Ergebnisse gegenwärtig von unabhängigen Experten der entsprechenden Forschungsfelder prüfen. Die Resultate dieser Validierung wollen sie in einem angemessenen Forum so schnell wie möglich mitteilen. Raychaudhuri sieht in ihrem Schweigen allerdings einen Fehler: „Diese Art des Stillschweigens der Autoren ist keine gesunde Praxis. Es ist gegen den Geist der Wissenschaft.“

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