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Erdgas: Vergessene DDR-Technik wiederentdeckt – Lösung für das Speicherproblem?

Die Energiewende konfrontiert Deutschland mit komplexen Aufgaben – es geht nicht nur um die Erzeugung von grünem Strom, sondern ebenso um dessen sichere Speicherung und effizienten Transport. Besonders der Wasserstoff rückt dabei als lange vernachlässigte Schlüsseltechnologie wieder in den Fokus.

Ein Mann hält metallisches Erz mit Seltenerdmetallen vor dem Hintergrund eines Bergwerks in der Hand
© IMAGO / YAY Images / futurezone.de [M]

Wie funktioniert ein Wasserstoffauto?

Das ist die Funktionsweise eines Wasserstoffautos.

Bereits in den 1960er-Jahren entwickelten Forschende am Deutschen Brennstoff-Institut (DBI) in Freiberg ein Verfahren, um Wasserstoff sicher und effizient zu transportieren – eine Frage, die im Zuge der Energiewende aktueller ist denn je. Ihre Lösung: Eisen. Der Wasserstoff ließ sich an Eisenoxid-Pellets binden, in fester Form lagern und bei Bedarf wieder freisetzen. In der DDR blieb die Idee jedoch ungenutzt – billiges Erdgas aus der Sowjetunion machte die Technik überflüssig, die Erkenntnisse gerieten in Vergessenheit. Heute erlebt das Konzept eine Renaissance – als potenzieller Schlüsselbaustein der Energiewende.

Mit Eisen-„Nuggets“ durch die Energiewende

Heute ist die Idee aktueller denn je, denn für die Energiewende braucht es Speicher- und Transportlösungen jenseits teurer Hochdrucktanks und Pipelines. Eisen-Pellets könnten hier eine Brücke schlagen: Sie machen Wasserstoff zu einem festen, einfach handhabbaren Energieträger, der mit bestehender Logistik bewegt werden kann.

Genau darauf setzen auch die Ingenieure Uwe Pahl und Matthias Rudloff, die Jahrzehnte später auf alte Unterlagen der DDR-Forschenden stießen. In Magdeburg war damals sogar über eineinhalb Jahre eine Testanlage betrieben worden – die Betriebsdaten und Bücher sind bis heute erhalten. „Die ganzen Betriebsdaten und Bücher von damals, die haben wir. Zwar mit gelben Matrizen, aber immer noch lesbar“, erinnert sich Rudloff im Gespräch mit FOCUS Online. Auf dieser Grundlage gründeten die beiden in Dresden das Startup Ambartec, das die vergessene Idee nun zur Marktreife bringen will.

Die Grundlage bildet der Dampf-Eisen-Zyklus, ein Verfahren, das seit dem 19. Jahrhundert bekannt ist. Wasserstoff reduziert Eisenoxid (Fe2O3) zu Eisen und Wasserdampf. Wird das Eisen anschließend mit Dampf oxidiert, entsteht wieder Wasserstoff.

  • Beladen: Fe2O3 + H2 → Fe + H2O
  • Entladen: Fe + H2O → Fe2O3 + H2

Auf diese Weise werden Pellets zu wiederaufladbaren Wasserstoffträgern. Sie können an einem Standort „geladen“, in Standardcontainern per Lkw oder Bahn transportiert und am Zielort wieder „entladen“ werden – ein Ansatz, der die Energiewende durch praktikable Speicherlösungen unterstützen könnte. Erste Pilotanlagen sind inzwischen in Freiberg im Einsatz, auch mithilfe von Fördermitteln aus Sachsen und EU-Programmen.

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Alte Idee, neue Chancen

Das Problem früher: Die Pellets hielten nur wenige Zyklen durch, bevor sie zerfielen oder ihre Kapazität verloren. Forschende in der DDR scheinen Wege gefunden zu haben, diese Schwächen zu mildern, doch ihre Arbeit kam über Pilotanlagen nicht hinaus. „Wenn Sie nicht wissen, wie es geht, zerbröseln Ihnen diese Nuggets nach drei Versuchen und dann ist Feierabend“, so Rudloff. „Aber wir wissen, wie es geht.“

Heute ist die Materialwissenschaft weiter. So bestätigen aktuelle Studien, dass das Dampf-Eisen-Verfahren bei Temperaturen zwischen 600 und 800 Grad Celsius zuverlässig Wasserstoff freisetzen und aufnehmen kann. In einem Pilotreaktor im Maßstab 1:10 für einen Haushalt konnten Forscher*innen nachweisen, dass Eisenoxid-Zyklen eine sichere saisonale Speicherung von Wasserstoff ermöglichen und dabei stabile Umwandlungsraten über zahlreiche Lade- und Entladevorgänge erreichen.

Weitere Arbeiten zeigen, wie sehr die Materialmodifikation die Leistung beeinflusst: Eine Studie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) belegt etwa, dass Eisenoxide, die mit Molybdän (Mo) imprägniert wurden, nach 50 Zyklen noch 72 Prozent ihrer initialen Wasserstoffspeicherkapazität bewahren – eine signifikante Verbesserung gegenüber unmodifiziertem Eisenoxid.

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Deutschlands Wasserstoff-Dilemma

Wasserstoff ist zentral für die Dekarbonisierung der deutschen Stahl-, Zement- und Chemieindustrie und damit ein unverzichtbarer Teil der Energiewende. Laut der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2023 wird der Bedarf bis 2030 bei 95 bis 130 Terawattstunden liegen. Davon sollen rund 50 bis 70 Prozent durch Importe gedeckt werden. Parallel dazu soll die inländische Elektrolyse-Kapazität bis 2030 auf mindestens zehn Gigawatt anwachsen.

Doch der Hochlauf verläuft nicht reibungslos. Die im Jahr 2024 verabschiedete Importstrategie bestätigte diese Zielzahlen und stellte zugleich heraus, dass sich die damalige Bundesregierung zunächst auf Anwendungsfelder konzentrieren wollte, in denen Wasserstoff schon kurzfristig wirtschaftlich eingesetzt werden kann. Auch wenn sich inzwischen die politische Konstellation geändert hat, bildet das Dokument weiterhin eine wichtige Grundlage für die Ausrichtung der deutschen Wasserstoffpolitik.

Zugleich warnt der Nationale Wasserstoffrat vor Engpässen entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Elektrolyse über den Transport bis hin zur Nutzung. Auch das Institut für Innovation und Technik (iit) Berlin betont in einer Analyse, dass gerade die energieintensiven Branchen wie Stahl, Zement und Chemie den Markt antreiben werden, gleichzeitig aber auf eine verlässliche Versorgung angewiesen sind.

Das geplante Wasserstoff-Kernnetz mit rund 9.000 Kilometern wird jedoch erst Anfang der 2030er-Jahre vollständig zur Verfügung stehen. Erste Teilabschnitte sind zwar bereits 2025 betriebsbereit, etwa zwischen Lubmin und Bobbau, doch adressiert das Netz zunächst fast ausschließlich Groúbabnehmer*innen aus Industrie und Energieerzeugung. Viele kleine und mittlere Unternehmen bleiben damit vorerst außen vor. Für sie könnten Eisen-Pellets eine pragmatische Brückentechnologie sein – eine Möglichkeit, Wasserstoff unabhängig von Pipelines zu nutzen und so Versorgungslücken zu schließen.

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Vorteile und Stolpersteine

Die vermeintlich simple Lösung bringt zahlreiche Chancen mit sich, aber auch klare Grenzen. Eisen-Pellets lassen sich bei Umgebungsdruck transportieren, ohne dass Hochdrucktanks oder teure Kryotechnik notwendig wären. Sie können in handelsüblichen Containern mit der Bahn oder auf der Straße bewegt werden und erscheinen dadurch im Alltag sicherer als hochentzündliches Gas. Zudem eröffnet das Verfahren die Möglichkeit, Wasserstoff saisonal zu speichern, etwa durch die Kombination mit Hochtemperatur-Elektrolyse oder industrieller Abwärme.

Ambartec will die Technologie daher gezielt für dezentrale Anwendungen nutzbar machen – etwa für kommunale Blockheizkraftwerke. Der Plan: In Standardcontainern angelieferte Eisen-Pellets liefern vor Ort den Wasserstoff, der dann in bestehende Gasmotoren eingespeist wird – laut Hersteller auch anteilig, ohne dass die Anlagen ausgetauscht werden müssten. Ob die Speicher als Gefahrgut gelten, ist noch nicht abschließend geklärt. Das Unternehmen verweist auf Prüfverfahren, die derzeit laufen.

Demgegenüber stehen jedoch erhebliche Herausforderungen. Um Wasserstoff wieder freizusetzen, sind Temperaturen von 600 bis 800 Grad Celsius erforderlich, was eine aufwendige Wärmetechnik voraussetzt. Hinzu kommt, dass das Verhältnis von gespeicherter Energiemenge zu transportierter Masse ungünstig ist – große Mengen Eisen müssen bewegt werden, um vergleichsweise wenig Wasserstoff zu liefern.

Auch rechtliche Fragen sind offen, denn reduziertes Eisen fällt je nach Form möglicherweise unter das Gefahrgutrecht. Feinkörniges Material kann nach den europäischen Gefahrgutvorschriften für Straßentransporte (ADR) als entzündbar oder sogar selbstentzündlich eingestuft werden – ob speziell entwickelte Pellets diese Kriterien erfüllen, müssen Prüfungen erst zeigen. Unternehmen müssen daher nachweisen, dass ihre Pellets sicher und stabil bleiben. Schließlich fehlt es bislang an belastbaren Langzeiterfahrungen, die zeigen, wie viele Lade- und Entladezyklen das Material im industriellen Alltag tatsächlich übersteht.

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Vergleich mit anderen Transportwegen

Im Vergleich zu anderen Trägern und Transportmethoden zeigt sich, dass Eisen-Pellets eine Nischenlösung sein könnten, aber keine Universallösung. Pipelines bleiben dort, wo sie vorhanden sind, die kostengünstigste und effizienteste Option – allerdings mit hohen Investitionen und langen Bauzeiten. Ammoniak bietet sich für den globalen Handel an, da es relativ leicht verschifft werden kann, bringt jedoch erhebliche Sicherheitsrisiken durch seine Giftigkeit mit sich und muss mit zusätzlichem Energieaufwand in Wasserstoff zurückverwandelt werden.

Flüssige organische Wasserstoffträger (LOHC) nutzen bestehende Infrastruktur für flüssige Energieträger, erfordern jedoch ebenfalls viel Energie, um Wasserstoff wieder freizusetzen. Flüssiger Wasserstoff schließlich liefert hohe Reinheit, ist aber teuer in der Handhabung und verliert durch Verdampfen während des Transports an Effizienz.

Eisen-Pellets liegen irgendwo dazwischen: Sie sind weder so kompakt wie verflüssigter Wasserstoff noch so energieeffizient wie Ammoniak für lange Transportwege. Ihr Vorteil liegt in der einfachen Handhabung, der Nutzung bestehender Logistik und dem Verzicht auf extremen Druck oder Kälte. Damit könnten sie gerade in der Übergangsphase eine wichtige Rolle in der Energiewende spielen – vor allem dort, wo noch kein Pipelineanschluss vorhanden ist.

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Vergessener Schatz für die Energiewende?

Die Geschichte aus Freiberg zeigt, dass sich alte Ideen im richtigen Moment neu entfalten können. Die Eisen-Pellet-Technologie könnte helfen, die Versorgungslücken vor Fertigstellung des Wasserstoff-Kernnetzes zu schließen – besonders für Unternehmen abseits großer Industriezentren. Das neue Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz, das derzeit im Bundestag beraten wird, könnte diesen Hochlauf zusätzlich befördern: Es sieht vereinfachte Genehmigungen für Speicher, Importe und dezentrale Nutzung vor und stuft die Wasserstoffinfrastruktur als öffentliches Interesse ein.

Doch noch ist die Nachfrage verhalten. „Es reden zwar viele über Wasserstoff, aber machen tun es aktuell noch zu wenige“, betont Rudloff. „Auch die Stahlindustrie kommt jetzt ja ins Zweifeln.“ Hinzu kommt, dass Wasserstoff im Vergleich zu Erdgas bislang noch deutlich teurer ist.

Am Ende geht es nicht nur um Technik, sondern auch um Geschäftsmodelle. „Wir sind immer noch gut darin, Dinge zu erfinden, aber wir machen daraus viel zu selten erfolgreiche Geschäftsmodelle“, warnt Rudloff. Ob die vergessene DDR-Technologie diesmal den Durchbruch schafft oder erneut im Archiv verschwindet, wird also nicht nur von Chemie und Physik abhängen – sondern auch davon, ob es gelingt, aus ihr ein tragfähiges Geschäft zu entwickeln.

Quellen: FOCUS Online; „Steam–iron cycle for efficient and safe hydrogen storage and transport“ (Sustainable Energy & Fuels, 2024); „Performance of modified iron oxides in cyclic hydrogen storage applications“ (Fuel, 2025); Bundesministerium der Finanzen; Nationaler Wasserstoffrat; Institut für Innovation und Technik Berlin; United Nations Economic Commission for Europe

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