Veröffentlicht inScience

Ozean: Forscher machen faszinierende, aber beunruhigende Entdeckung – „ein Wendepunkt“

Ähnlich wie ein Baum können auch Muscheln ihre eigene Klimageschichte erzählen. Das haben Forschende nun genutzt und Daten aus 500 Jahren ausgewertet. Die Ergebnisse sind beunruhigend.

Bild von unter der Wasseroberfläche.
© supplement - stock.adobe.com

Die Arktis – so bald könnte sie schon eisfrei sein

Forschende haben ein neues Datum errechnet, wann die Arktis das erste Mal eisfrei sein könnte. Die Ergebnisse sind alarmierend.

Seit Jahrhunderten schreiben Muscheln still und unauffällig Klimageschichte. Denn ihre Schalen speichern Schicht für Schicht, was im Meer so passiert. So konnten Forschende nun herausgefunden, dass diese ein Warnsignal aussenden. Denn der Nordatlantik verliert seine Stabilität. Die Daten aus den jahrhundertealten Muscheln deuten darauf hin, dass das Strömungssystem, das unser Klima in Balance hält, auf einen gefährlichen Wendepunkt zusteuert.

Muscheln als Klimazeugen

Für ihre Studie haben Wissenschaftler*innen um Beatriz Arellano-Nava von der Universität Exeter wie bei einem Baum die Wachstumsringe verschiedener Muscheln untersucht. Unter den analysierten Exemplaren war auch die langlebige Islandmuschel (Arctica islandica), die über 500 Jahre alt werden kann.

„Die Aufzeichnungen von Muscheln sind wirklich erstaunlich“, zitiert Inside Climate News Dr. Arellano-Nava. „Sie sind wie die Jahresringe des Meeres. Sie bieten eine kontinuierliche, jährlich aufgelöste Aufzeichnung der Meeresbedingungen.“ Die chemischen Spuren in den Schalen zeigen, wie sich Temperatur, Salzgehalt und Nährstoffe über Jahrhunderte verändert haben.

Die Muschel-Daten verraten dabei, dass der Nordatlantik bereits zweimal in den vergangenen 200 Jahren ins Wanken geriet. „Die Ergebnisse zeigen eine Destabilisierung des Nordatlantiks im frühen 20. Jahrhundert und in der Gegenwart“, schrieben die Forscher in ihrer Studie, die sie im Fachjournal Science Advances veröffentlichten.

Besonders betroffen ist der sogenannte subpolare Wirbel – ein riesiger Strudel südlich von Grönland, der warmes und kaltes Wasser austauscht und so das Klima Europas prägt. Laut den Forschenden ist dieses System seit den 1950er Jahren wieder instabil, was darauf hindeutet, dass sich die Ozeanzirkulation erneut einem Wendepunkt nähert.

Lesetipp: Evolution im Ozean: Forscher machen bahnbrechende Entdeckung – „es ist sehr ungewöhnlich“

Was die Muscheln verraten

Beim genauen Blick in die Schale jeder Muschel erkannten die Forschenden deutliche Muster. Breitere Ringe standen für Zeiten mit stabilen Temperaturen und gutem Nahrungsangebot. Sank die Temperatur dagegen, wurden die Ringe schmaler – für das Team ein Hinweis auf eine Störung der Strömungen.

„Obwohl wir noch nicht sagen können, welcher Teil des Systems an Stabilität verliert oder was die Ursache dafür sein könnte, liefern unsere Ergebnisse unabhängige Beweise dafür, dass der Nordatlantik an Stabilität verloren hat – was darauf hindeutet, dass ein Wendepunkt bevorstehen könnte“, sagte Dr. Arellano Nava in einer Mitteilung der Universität.

Auch Professor Paul Halloran vom Global Systems Institute in Exeter erklärte: „Selbst wenn ein System stabil ist, kommt es immer wieder zu Abweichungen – aber nach einer Änderung ist in der Regel eine schnelle Rückkehr zum Normalzustand zu beobachten. Wenn ein System jedoch destabilisiert wird, erholt es sich nicht so schnell – und das könnte ein Zeichen für einen nahenden Wendepunkt sein.“

Lesetipp: Erde: Forscher sagen erstaunliches Szenario voraus – „kann eine Eiszeit auslösen“

Folgen für das Klima

Ein Zusammenbruch der Strömungen im Nordatlantik hätte dramatische Auswirkungen. Laut Arellano-Nava könnte etwa der Verlust des subpolaren Wirbels dazu führen, „dass sich der Transport von Ozeanwärme abschwächt“. Das würde in Europa zu heftigeren Wetterschwankungen führen, mit heißeren Sommern, kälteren Wintern und extremeren Überschwemmungen. In den Tropen könnten sich dagegen Hitzewellen und der Meeresspiegelanstieg beschleunigen.

„Derart neue Beweise für ein Kippen in einem großen Ozeansystem zu finden, ist besorgniserregend und bestätigt die immer umfangreichere Literatur zu Kipppunkten von der Antarktis bis Grönland und dem Amazonas-Regenwald“, ordnet der Klimaforscher Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die Ergebnisse gegenüber Inside Climate News ein.

Trotz aller Warnungen sehen die Forschenden aber auch Chancen. Denn die Muschel liefert nicht nur Beweise, sondern auch ein Frühwarnsystem. „Um einen Wendepunkt vorherzusehen, sind zuverlässige Daten erforderlich, die einen langen Zeitraum lückenlos abdecken“, erklärte Arellano-Nava. Solche Daten liefern nun die Schalen der Muscheln. Sie könnten helfen, rechtzeitig zu erkennen, wann das Klima aus dem Gleichgewicht gerät. Doch eines steht fest: „Das Problem mit Wendepunkten besteht darin, dass man möglicherweise keine spürbaren Veränderungen bemerkt, bis ein abrupter Übergang eintritt – und dann ist es zu spät“, warnte Arellano-Nava.

Quellen: „Recent and early 20th century destabilization of the subpolar North Atlantic recorded in bivalves“ (Science Advanced, 2025); University of Exeter, Inside Climate News

Hinweis: Ukraine-Hilfe

Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Hier kannst du den Betroffenen helfen.