Ein Forschungsteam hat in der Antarktis ein besorgniserregendes Ereignis dokumentiert. Der Hektoria-Gletscher auf der Ostantarktischen Halbinsel hat sich in nur zwei Monaten um mehr als acht Kilometer zurückgezogen – und damit zehnmal schneller als je zuvor bei einem Gletscher auf festem Untergrund beobachtet. Die in Nature Geoscience veröffentlichte Studie wirft damit neue dringende Fragen über die Stabilität der Eisschilde und die künftige Entwicklung des Meeresspiegels auf.
Antarktis: „Konnte das Ausmaß kaum fassen“
Die Antarktis gilt als sensibler Gradmesser für den Zustand des globalen Klimas. Forschende beobachteten den Hektoria-Gletscher daher bereits seit Jahren, nachdem das benachbarte Larsen-B-Schelfeis im Jahr 2002 kollabiert war. Während das riesige Schelfeis den Gletscher nämlich zuvor stabilisiert hatte, begann der Hektoria, als sich auch das Meereis löste, immer schneller ins Meer zu rutschen. Doch was Ende 2022 geschah, übertraf dann nochmal alles, was bisher bekannt war. Innerhalb weniger Wochen zog sich die Gletscherfront um 8,2 Kilometer zurück – mit einer Geschwindigkeit von zeitweise 800 Metern am Tag.
Dr. Naomi Ochwat von der University of Colorado Boulder, die Hauptautorin der Studie, war bei einem Flug über die Region tief erschüttert: „Als wir Anfang 2024 über Hektoria flogen, konnte ich das Ausmaß des eingestürzten Gebiets kaum fassen“, zitiert IFLScience Dr. Ochwat. „Ich hatte den Fjord und die markanten Bergformationen auf Satellitenbildern gesehen, aber vor Ort zu sein, erfüllte mich mit Erstaunen über das Geschehene.“
Ihr Team geht nun davon aus, dass der Gletscher in der Antarktis auf einer flachen Felsfläche, einer sogenannten Eisebene, auflag. Als das Eis dort dünner wurde, verlor es schließlich den Kontakt zum Untergrund, begann zu schwimmen – und brach letztlich in kurzer Zeit auseinander.
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„Nicht völlig überzeugt“
In der Antarktis könnte dieser Prozess auch andere Gletscher destabilisieren. „Der Rückzug des Hektoria-Gletschers ist ein ziemlicher Schock – ein solch blitzschneller Rückzug verändert wirklich, was für andere, größere Gletscher auf dem Kontinent möglich ist“, sagte Mitautor Dr. Ted Scambos. „Wenn sich die gleichen Bedingungen in einigen anderen Gebieten einstellen, könnte dies den Meeresspiegelanstieg vom Kontinent erheblich beschleunigen“, führte er fort.
Doch nicht alle Forschenden sind überzeugt davon, dass der Hektoria tatsächlich auf dem Meeresboden auflag. Einige argumentieren, die beobachteten Veränderungen könnten auch bei einem schwimmenden Schelfeis auftreten. „Ich denke, der vorgeschlagene Mechanismus und die Rückzugsrate sind in antarktischen Eisebenen plausibel, aber aufgrund der Unsicherheit darüber, wo sich die Aufsetzzone in Hektoria befand, bin ich nicht völlig überzeugt, dass dies hier beobachtet wurde“, sagte Dr. Christine Batchelor, Dozentin für Physische Geographie an der Universität Newcastle, gegenüber der BBC.
Doch ein Punkt eint die Forschenden: „Wir sind uns absolut einig, dass sich die Polarregionen in einem erschreckenden Tempo verändern“, betonte die Klimaforscherin Prof. Anna Hogg von der University of Leeds. Die neue Entdeckung zeigt also, dass die Antarktis weitaus anfälliger für den Klimawandel ist als lange Zeit angenommen.
Quellen: „Record grounded glacier retreat caused by an ice plain calving process“ (Nature Geoscience, 2025); IFLScience; BBC
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