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Was Kuriere von Deliveroo & Co. von den Lieferdiensten erwarten

Fahrradkuriere von Bringdiensten sind gestresst und schlecht bezahlt – oder? Zwei Fahrer aus Berlin geben Auskunft über ihren Berufsalltag.

Valeriy Leibert ist Kurierfahrer für Deliveroo. Foto: Massimo Rodari

Essenskuriere auf dem Fahrrad gelten als das neue Prekariat der digitalen Gesellschaft. Schwitzen im Sattel mit unsicherem Gehalt, um die App-Bestellungen vom Restaurant zum Kunden zu bringen. Scheinbar bestätigt wird dieser Eindruck durch Proteste der Kuriere, die hauptsächlich für die Unternehmen Deliveroo und Foodora mit den türkisen und rosafarbenen Rucksäcken unterwegs sind.

Aber wie sieht es wirklich aus in ihrem Alltag, vor allem finanziell? Um das herauszufinden, haben wir zwei Kuriere aus ihrem Alltag erzählen lassen. Das Bild, das sie zeichnen, ist vielschichtig.

Valeriy Leibert tritt seit sieben Jahren beruflich in die Pedale – aus Begeisterung. Angefangen hat er 2010 als klassischer Fahrradkurier. Im Januar 2017 bewirbt er sich bei Deliveroo für einen Schreibtischjob und wird genommen. Aber die Personalabteilung, in der er arbeitet, erscheint ihm zu hierarchisch. Seit April ist er wieder auf der Straße. Auf dem Rad.

Deliveroo: Sechs Bestellungen pro Stunde sind drin

Selbstständige Kuriere, die bei Deliveroo nach eigenen Angaben 40 Prozent der Belegschaft ausmachen, erhalten als Einstiegssatz fünf Euro pro Lieferung, später kann der Satz auf sechs Euro netto steigen. Die Strecken sind in der Regel, zumindest in den Innenstädten, kurz. Die Anfahrtszeit liegt Leiberts Aussagen zufolge im Schnitt zwischen fünf und zehn Minuten. Fünf bis sechs Bestellungen pro Stunde sind also drin. „Der Rekord liegt angeblich bei 52 Bestellungen am Tag – von 11.30 Uhr bis 24 Uhr.“ Das wären bei einem Satz von sechs Euro immerhin 312 Euro.

„Bei den Kollegen von Foodora oder den Festangestellten kann das aber anders aussehen“, räumt Leibert ein. Die durchschnittliche Schicht dauert hier 4,5 Stunden.

Foodora: Nicht mehr als 850 Euro brutto

Johannes, der für den Hauptkonkurrenten Foodora fährt und nur seinen Vornamen nennen möchte, ist seit Januar dieses Jahres dabei, hat sein Studium abgeschlossen und will als schneller Radler, der er ist, mit Essensauslieferungen Geld verdienen. Zumindest übergangsweise. Sein Vertrag ist auf ein Jahr befristet mit einem halben Jahr Probezeit, angestellt ist er auf Basis einer Midi-Jobber-Gleitzeitregelung. Das heißt, er muss im Monat mindestens 50 Stunden fahren, sollte aber nicht mehr als 850 Euro brutto verdienen.

Solche Verträge sind die Regel. Als ein wesentliches Problem beim Kurierfahren sieht er, dass die Start-ups Kosten, die eigentlich auf Unternehmensseite bezahlt werden müssten, auf die Fahrer abwälzen.

Die Radausstattung kostet

Wenn man die nötige Ausrüstung und die Kosten zu ihrer Beschaffung und Instandhaltung betrachtet, kommt da tatsächlich einiges zusammen. Das beginnt mit einem möglichst schnellen Fahrrad, das in der Anschaffung bei ungefähr 1.000 Euro liegt. Radschuhe – circa 100 Euro – braucht es einmal im Jahr, ein Helm, den Angestellte gratis erhalten, kostet im Markt ebenfalls um die 100 Euro; etwas mehr gehen für eine Outdoorjacke, etwas weniger für Radlerhosen drauf.

Obendrauf kommt ein gutes Handy, das natürlich auch privat genutzt werden kann. Für angestellte Fahrer gibt es eine Betriebshaftpflicht, Freelancer versichern sich selbst. Die Beiträge zur Berufsgenossenschaft kosten mittlerweile um die 900 Euro im Jahr. Hinzu kommen noch Strafzettel und Kosten für Zubehör wie Beleuchtung und Reparaturen mit geschätzt 500 bis 600 Euro im Jahr.

Dem gegenüber steht die Bezahlung: Neun Euro pro Stunde bei Foodora sind nicht üppig. „Natürlich“, sagt Johannes, „gibt es immer schlechtere Jobs. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass die Fahrer, die immer als wertvollste Ressource des Unternehmens dargestellt werden, in der Lage sein müssen, von ihrem Job zu leben. Und sie müssen ernst genommen und bei Entscheidungen, die sie betreffen, gefragt werden.“

Intransparenz gegen Umsatz

Damit spielt er auf die von der Gewerkschaftskampagne Deliverunion immer wieder geforderte Transparenz an. Die betrifft die Schichtvergabe, aber auch Bonizahlungen, die manchmal wieder einkassiert werden.

Auch Leibert engagiert sich in der von der Gewerkschaft FAU aus Großbritannien nach Deutschland exportierten Kampagne Deliverunion, über die seit Anfang Mai viel in den Medien berichtet wird – häufig verzerrt, wie Leibert findet, manchmal zu reißerisch.

Klar, den Betreibern geht es ums Geld. „Wie viel Umsatz schaffen wir an einem regnerischen Tag?“, wird dann zur entscheidenden Frage. Hinzu kommen saisonale Schwankungen, Essen wird häufiger im Winter bestellt. Das führt zu großen Herausforderungen an die Planung: Es ist schwer, immer genau die richtige Zahl an Fahrern auf der Straße zu haben.

Standards im jungen Unternehmen schaffen

Leibert hält den Start-ups jedenfalls zugute, dass sie noch sehr jung sind. So habe man das Problem, dass man zu viele Fahrer eingestellt habe, erkannt und sich vor gut einem Monat für einen Einstellungsstopp für Festfahrer in Berlin entschieden. „Alles ist neu. Die Arbeitsbedingungen erscheinen als Reihung von Präzedenzfällen. Das hat auch seine Vorteile. Mit Deliverunion können wir so von Anfang an dazu beitragen, Standards zu schaffen.“ Dazu gehörten ein Betriebsrat und vor allem Transparenz bei den Entscheidungen. „Man möchte sich nicht herumschubsen lassen.“

Ein Grund dafür, dass die Unternehmen bisher noch nicht auf den Forderungskatalog von Deliverunion eingegangen sind, ist, dass Deliveroo die FAU nicht als Gesprächspartner akzeptieren will. Aber wen dann? Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ist laut anderen Arbeitnehmerorganisationen zuständig. Sie unterstützt derzeit immerhin in Köln Foodora-Fahrer bei der Einführung eines Betriebsrats.

„Wir haben uns jetzt bemerkbar gemacht“

Noch vor kurzem ließ die Berliner NGG-Sprecherin Karin Vladimirov allerdings der Bestätigung, die Arbeitsbedingungen der Kurierfahrer müssten als prekär bezeichnet werden, gleich die Klage folgen, sie und ihre Kollegen könnten die Fahrer ja nicht auf der Straße einfangen. Für diesen Einwand der NGG hat Clemens Melzer, Pressesekretär bei der FAU, nur ein Lächeln übrig. „Wenn man die richtigen Angebote macht“, sagt er, „kommen die Fahrer.“ Etwa zu Beratungen, wöchentlichen Abenden und Aktionen wie der Berliner Fahrraddemo Mitte Mai, an der um die 80 Kuriere teilnahmen.

Johannes sagt: „Wir haben uns jetzt bemerkbar gemacht und warten auf die Resonanz. Wenn weiterhin nichts passiert, folgen neue Aktionen. In England und Frankreich hat das auch seine Zeit gebraucht. Aber irgendwann trägt Engagement Früchte.“

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