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So verstörend sind YouTubes Kinder-Videos

Wenn Comic-Figuren gewalttätig aufeinander losgehen, dann muss es sich um Videos aus der Kindersparte von YouTube handeln.

Mädchen und Junge sitzen vor einem Laptop und schauen einen zeichentrick.
Kleinkinder-Inhalte sind für YouTube mittlerweile zu einem großen Markt avanciert. Foto: imago/Science Photo Library

Spiderman schlägt einer Prinzessin mit der Faust ins Gesicht, Micky Maus erschreckt Minnie Maus zu Tode – es sind durchaus traumatisierende Szenen, die Kinder auf Youtube finden können. Sogar in der App „Youtube Kids“ sind Videos von Kindercomics aufgetaucht, die Verstörendes zeigen. Was viele Eltern nicht wissen: In der Browser-Version von Youtube können Kinder noch wesentlich mehr dieser Clips mit Gewaltdarstellungen finden. Und mit diesen Inhalten verdienten Uploader viel Geld.

Dabei werden auch kleine Kinder zum Klicken animiert. Denn in der Vorschau zu den Videos sehen sie bunte Bilder ihrer Lieblingshelden wie Micky Maus, Spiderman oder der Prinzessin Elsa aus dem Disney-Film „Frozen“. Die Browser-Version der Videoplattform bietet Eltern bisher kaum Möglichkeiten, ihre Kinder zu schützen. Youtube reagiert erst jetzt auf Kritik – und möchte seinen Jugendschutz künftig verbessern.

„Eingeschränkter Modus“ schützt Kinder bei YouTube kaum

Zwar gibt es bisher den sogenannten „eingeschränkten Modus“, den Eltern auf Youtube einstellen können, wenn sie sich auf ihrem Google-Konto anmelden. Nicht jugendfreie Inhalte mit Altersbeschränkung sollen so herausgefiltert werden. Er eignet sich jedoch nicht dazu, Kinder vor fragwürdigen Videos zu schützen.

So findet man auch im „eingeschränkten Modus“ beispielsweise ein Video, in dem Minnie Maus von Micky Maus zu Tode erschreckt wird. Minnie Maus läuft blau an, kippt um. Ihrem Körper entfährt ein Geist, der Micky Maus dann dabei beobachtet, wie er an ihrem Grab weint. Solche Videos werden nicht etwa von Disney selbst produziert. Es sind Fälschungen. Doch sie haben große Ähnlichkeit mit den Originalen.

Kinderhelden, die sich mit der Faust ins Gesicht schlagen

Es gibt jedoch nicht nur Zeichentrickfilme. Auch Clips mit menschlichen Darstellern in Comic-Kostümen vermitteln Kindern Gewalt. Die Brutalität wirkt dadurch noch erfahrbarer, realer, härter. Ein Beispiel hierfür ist der Youtube-Kanal „Toy Family“. In einem seiner Clips schlägt ein Spiderman-Darsteller einer Frau, die als Prinzessin Elsa verkleidet ist, gleich in der ersten Sekunde mit der Faust in ihr Gesicht.

Gibt man „Spiderman Elsa“ in die Suchmaske bei Youtube ein, erscheint dieser Clip als sechstes Suchergebnis auf der Trefferliste. Er hat bereits über 4,8 Millionen Aufrufe. Die meisten anderen Videos des Kanals wurden im Verlauf der Recherche unserer Redaktion gelöscht.

YouTube reagierte mit Löschung von „Tausenden Videos“

Offenbar reagiert Youtube nun auf die verstärkte Kritik durch negative Medienberichte und entfernt die Clips. In einem Blogeintrag gab Johanna Wright, die Vize-Präsidentin des Produkt-Managements von Youtube, am Mittwoch bekannt, die Plattform habe in der vergangenen Woche „über 50 Kanäle beendet und Tausende Videos gelöscht.“

Youtube werde fortan täglich mit dem Löschen von nicht kindgerechten Inhalten fortfahren. Dennoch gibt es noch immer zahlreiche der verstörenden Videos auf Youtube. In einem erkennt der Zuschauer, wie Prinzessin Rapunzel vom Teufel heimgesucht wird.

Youtube-Algorithmus sortiert fragwürdige Inhalte aus

Dass nicht alle fragwürdigen Videos trotz allen Bemühens sofort gelöscht werden können, lässt sich durch das bisherige Filtersystem von Youtube erklären. Unangemessene Inhalte werden nämlich nicht von Mitarbeitern aussortiert, sondern von einem Algorithmus. Er filtert Inhalte unter anderem anhand von Videotiteln und -beschreibungen sowie Metadaten.

Da die verstörenden Filme unschuldige Namen wie „Catwoman vs. Batman Lovestory“ tragen, werden sie vom Algorithmus nicht erfasst. Sie landen auf der Plattform – ohne Altersbeschränkung. Erst falls Nutzer Inhalte melden, werden diese persönlich von Youtube-Mitarbeitern überprüft.

Experten sollen YouTube unterstützen

Dieses Filtersystem hat sich nun als ungenügend erwiesen. Daher möchte Youtube ab sofort verstärkt mit Experten zusammenarbeiten, um den Umgang mit nicht jugendfreien Cartoons und Clips zu verbessern. Zudem sollen die Zahl der „Trusted Flaggers“, also der vertrauenswürdigen Nutzer, die unangemessene Videos melden, verdoppelt werden.

Um keinen finanziellen Anreiz mehr zu schaffen, möchte Youtube zudem die Monetarisierung der Videos unterbinden. „Wir haben unsere Richtlinien bereits dahingehend aktualisiert, dass Inhalte mit unangemessener Verwendung von Charakteren aus dem Bereich Familienunterhaltung nicht monetarisiert werden können“, erklärt Robert Lehmann, ein Sprecher des Youtube-Mutterkonzerns Google, auf Anfrage unserer Redaktion. Somit bekommen die Uploader der Filme kein Geld mehr aus Werbeeinnahmen – was jedoch bedeutet, dass sie zuvor wirtschaftlich von den fragwürdigen Clips profitierten.

Brutalitäten als Geldmaschine

Ein Beispiel dafür, wie viel Geld mit den Inhalten verdient werden konnte, ist der Kanal „Toys and Funny Kids Surprise Eggs“, der brutale Kinderfilme mit Knetfiguren produzierte. Inzwischen sind dort zwar keine Gewaltdarstellungen mehr zu finden. Bis vor wenigen Tagen sah man jedoch Videos, in denen die Prinzessin Elsa an einem Sofa gefesselt oder von einem Vampir gebissen wurde.

Der Channel war einem Bericht der BBC zufolge mit mehr als sieben Milliarden Aufrufen einer der meistgeklickten Kanäle auf Youtube – bevor die fragwürdigen Clips nun gelöscht wurden. Geld verdienten die Uploader nicht nur mit eingeblendeten Werbespots, sondern auch durch Produktplatzierungen: In den Videos waren Überraschungseier der Marke Kinder, M&M’s-Tüten, Spielsachen von Play-Doh und Pommes Frites von McDonald’s zu sehen. Auch der Kanal „ToyScouter“, der unter anderem das oben vorgestellte verstörende Rapunzel-Video produzierte, widmet den Burgern von McDonald’s ein sechsminütiges Video.

Interneterfahrene Kinder lieben YouTube und stellen großen Markt dar

Inhalte für Kleinkinder sind zu einem großen Markt für Youtube geworden. „Kinder schauen gerne Videos und nutzen dabei meist Angebote, die sich eigentlich an Erwachsene richten“, erklärt ein Sprecher von jugendschutz.net, dem gemeinsamen Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet. Laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest geben 33 Prozent der interneterfahrenen Kinder Youtube als ihre Lieblingsseite an, 50 Prozent schauen dort mindestens einmal pro Woche Videos.

„Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich inzwischen viele Content-Anbieter auf diese Zielgruppe einstellen“, sagt der Sprecher von jugendschutz.net, „YouTube ist jedoch vor allem aufgrund seiner Fülle an ungeeigneten Inhalten kein Kinderangebot.“ Er verweist auf die App „Youtube Kids“ als kindgerechte Alternative. Doch die Horror-Videos würden dort ebenfalls auftauchen, wenn auch seltener, wie die „New York Times“ berichtete. Als Reaktion darauf möchte Youtube nun eine umfassende Anleitung veröffentlichen, die Uploadern Strategien für die Produktion kindgerechter Inhalte vermitteln soll.

Kein passendes Jugendschutzprogramm zum Filtern von YouTube-Inhalten

„Wir empfehlen Eltern, den Medienkonsum ihrer Kinder grundsätzlich aktiv zu begleiten“, erklärt Google-Sprecher Lehmann. Dabei sei sich der Konzern aufgrund von Gesprächen mit Eltern durchaus bewusst, dass es für sie schwierig ist, die Internetaktivitäten ihrer Kinder komplett zu überschauen. Selbst geprüfte Jugendschutzprogramme können Minderjährige, die auf Youtube aktiv sind, nur bedingt schützen.

„Derzeit ist kein Jugendschutzprogramm in der Lage, einzelne YouTube-Videos altersdifferenziert und zuverlässig zu filtern“, so der Sprecher von jugendschutz.net. Um sicherzugehen, dass ihr Kind keine verstörenden Clips sieht, könnten Eltern Youtube in den Programmen lediglich komplett blockieren. Daher rät er Eltern, ihren Nachwuchs am Besten nur in ihrem Beisein Youtube schauen zu lassen. Es könne immer vorkommen, dass sich ein Kind vor einem Video erschrecke. „Daher ist es besser, wenn Eltern in direkter Nähe sind, um eingreifen und das ganze abfedern zu können.“

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