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Wie wir die künstliche Intelligenz im Zaum halten können

Am Montag diskutierte der Microsoft-Präsident zusammen mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft den Umgang mit künstlicher Intelligenz: Wo die Politik regulieren muss und welche Chance die Technologie bringt.

Microsoft-Präsident Brad Smith
Microsoft-Präsident Brad Smith präsentierte am Montag in Berlin die Risiken und Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. Foto: APA/ AFP

Am Montagmorgen lud Microsoft-Präsident Brad Smith in die Start-up-Hauptstadt Berlin, um sein neues Buch “Future Computed – die Bedeutung von künstlicher Intelligenz für die Gesellschaft” vorzustellen. Im Anschluss wurde das Thema des Buches mit Vertretern aus Wirtschaft und Politik diskutiert.

Dass beim Umgang mit künstlicher Intelligenz Redebedarf besteht, zeigte nicht nur der große Andrang vor dem hauseigenen Café Microsofts, der Digital Eatery, der einem iPhone-Verkaufsstart glich. Auch die gegensätzlichen Standpunkte, die Politiker, Wissenschaftler und Unternehmer vertraten, zeigten es.

Häufig sind Voraussagen über den Einfluss der KI auf die zukünftige Gestaltung der Arbeit und Gesellschaft von Schwarzmalerei bestimmt: Ganze Berufsstände würden in der Bedeutungslosigkeit versinken und ein neues, digitales Proletariat, bestehend aus “Clickworkern”, die nur stupide den Maschinen zuarbeiten, würde entstehen, so der Tenor der Pessimisten.

Beinahe utopisch würde dagegen die Zukunft aussehen, sollte eine Verbreitung der selbstbestimmten Maschinen nur positive Aspekte mit sich bringen: Der Mensch würde von der Arbeit größtenteils befreit werden, eine 15-Stunden-Woche würde zu Normalität.

Heißt gut für die Wirtschaft auch gut für den Bürger?

Wie genau unsere Zukunft aussieht, kann niemand voraussagen, dass jedoch eines dieser Extrem-Szenarien eintreten wird, ist unwahrscheinlich. Klar ist jedenfalls: Künstliche Intelligenz birgt ein unfassbares Potenzial für die menschliche Entwicklung, besonders aus wirtschaftlicher Sicht. Experten schätzen, dass das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands mithilfe der sich anbahnenden technischen Revolution im Jahr 2030 um 160 Milliarden Euro gesteigert werden kann.

Von diesem wirtschaftlichen Fortschritt könnte auch der Bürger profitieren. Vor allem im Bereich der Medizin soll die technischen Weiterentwicklung spürbar sein. Diagnosen können schneller gestellt, Interdependenzen zwischen Krankheiten dank Big-Data-Analysen aufgedeckt werden.

Unbestreitbar ist, dass sich unser Alltags- und Berufsleben zwangsläufig verändern wird, ob zum Guten, das liege jetzt in unseren Händen. “Gerade deswegen müssen wir uns die Frage stellen, was Computer dürfen, und nicht, was sie können”, findet der Microsoft Präsident Brad Smith.

Was Pferde mit künstlicher Intelligenz zu tun haben

Smith ist sich sicher, dass uns eine strahlende Zukunft bevorsteht. Nur dürfen wir die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf alle anderen Bereiche des Lebens nicht vergessen: “Einer der größten Fehler, den wir machen, ist zu denken, bei künstlicher Intelligenz handele es sich nur um ein technisches Phänomen, ohne direkte Folgen für den analogen Alltag.”

Smith sieht bei der heutigen Entwicklung Parallelen zur beginnenden Massenverfügbarkeit des Autos, die, über Umwege, die Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren auslöste: “Als das Pferd noch Verkehrs- und Arbeitsmittel der Massen war, wurden in den Vereinigten Staaten 25 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge an die Nutztiere verfüttert. Mit steigender Verbreitung des Kraftfahrzeuges wurden die Vierbeiner in die ‚Arbeitslosigkeit‘ gedrängt und ihre Population verminderte sich zusehends.

Aufgrund dieser Entwicklung sank die Nachfrage für Futtermittel – mit dramatischen Auswirkungen für die Wirtschaft. Anstatt Pferdefutter anzubauen, nutzen die Landwirte jetzt die frei gewordenen Kapazitäten, um Weizen zu züchten. Plötzlich gab es einen Weizenüberschuss im Land und der Preis des Getreides sank kontinuierlich. Bauern waren nicht mehr in der Lage, ihre Kredite bei den Banken zurückzuzahlen, etliche Geldinstitute gingen aufgrund ungedeckter Darlehen pleite und rissen die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale.”

Mit seinem Vergleich wolle Smith in keinem Fall Ängste schüren, er will nur verdeutlichen, dass auch einzelne Erfindungen ein Wirtschaftssystem ins Chaos stürzen können.

Neue Technologie schafft neue Jobs

Dass wir in Zukunft alle arbeitslos werden, glaubt der Microsoft -Präsident nicht, denn “neue Technologie schafft neue Berufe”. Erneut zieht er den Vergleich zum Aufkommen des PKWs, das die Werbeindustrie veränderte und ein neues Berufsbild geschaffen hat: den Logo-Designer: “Vor der PKW-Revolution sind die Menschen durch die Städte gelaufen. Wollten Unternehmen ihre Produkte bekannt machen, reichte es, kleine Schilder in der Stadt aufzustellen. Mit dem Aufkommen des Autos änderte sich das Mobilitätsverhalten der Menschen. Sollte Werbung weiterhin Wirkung zeigen, musste sie innerhalb weniger Sekunden, auch bei hohen Geschwindigkeit, erkennbar sein. Dieser Herausforderung nahmen Designer an und entwickelten die ersten Firmenlogos, die dank ihres Wiedererkennungswertes auch von Weitem zu erkennen waren.”

Um aus der Vergangenheit zu lernen, sei es jetzt wichtig, Mut zu haben, und die Bedeutung der künstlichen Intelligenz zu erkennen, so Smith. “Unternehmen, die diese Entwicklung verdrängen, haben keine Chance zu bestehen”.

Staat für IT-Nachwuchs verantwortlich

Eine wichtige Rolle spiele hierbei auch der Staat, denn dieser müsse dafür Sorge tragen, dass genügend Fachkräfte mit umfangreichem IT-Wissen ausgestattet sind. Derzeit sehe er auf diesem Gebiet noch Verbesserungsbedarf, gerade in Deutschland: “Derzeit belegen nur 17 Prozent der Studenten in Deutschland einen Programmierkurs. Das ist zu wenig. Wir benötigen mehr gut ausgebildete junge Menschen, die mit den Herausforderungen der künstlichen Intelligenz zurechtkommen.”

Geisteswissenschaftlichen Fächern wie den Politikwissenschaften oder der Soziologie wolle Smith mit dieser Forderung jedoch nicht die Existenzberechtigung absprechen, ganz im Gegenteil: ”Dank des fortschreitenden Grades der Automatisierung im Berufsalltag werden zwischenmenschliche Beziehung wieder wichtiger, da mehr Freiräume für den Menschen geschaffen werden. Diese können wir nutzen, um uns vermehrt mit Herausforderung aus Politik, Kultur und Gesellschaft zu beschäftigen, die bisher hinter der traditionellen Arbeit zurückgestellt waren”.

Ebenso dürfe die Diversität unter den Entwicklern nicht zu kurz kommen: ”KI-Systeme, die überwiegend von weißen Männern programmiert werden, verhalten sich auch wie weiße Männer”, prognostiziert der Microsoft-Präsident.

Sozialsysteme müssen der Zeit angepasst werden

Auch unsere Sozialsysteme seien, laut Smith, betroffen von der KI-Entwicklung. “Bisher werden die Kosten der sozialen Sicherungsnetze zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgeteilt. Sollten sich diese Strukturen aufbrechen, müssen wir über eine Umstrukturierung nachdenken”.

Das plant die Regierung

Wie die Politik sinnvoll die Entwicklung der KI begleiten könne und auf welche Aspekte unbedingt geachtet werden müsse, erklärte Dr. Andreas Goerdeler, Mitarbeiter des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, der Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries auf der Veranstaltung vertrat.

Auch er betonte das wirtschaftliche Potential der denkenden Programme, jedoch dürfe Deutschland nicht den Anschluss an den Weltmarkt verlieren. Derzeit gehen nur 17 Prozent der weltweiten Investitionen in die neue Technologie nach Deutschland. Der größte Anteil fließe mit 53 Prozent am Investitionsvolumen in die USA.

Zwar gebe es in Deutschland mit dem DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) am Standort Saarbrücken das größte Forschungsinstitut für KI-Fragen der Welt, jedoch reiche Grundlagenforschung alleine nicht: “Mehr deutsche Produkte müssen die Marktreife erreichen”, findet der Ministeriumsmitarbeiter.

Das wirtschaftliche Potential dürfe sich jedoch nicht unkontrolliert entwickeln, besonders der Umgang mit den Daten müsse reguliert werden. Unternehmen, die bereits heute große Datensätze besitzen, haben einen immensen Vorsprung gegenüber jungen Start-ups. Um Monopole zu vermeiden, plädiere er daher für Fair-Use-Regelungen, die auch kleineren Firmen einen Zugang zu den Informationen ermöglichen.

Die zwei wichtigsten Aspekte, die die Politik beachten müsse, seien der Datenschutz und die Verständlichkeit der Programme, findet Goerdeler: ”Es dürfen keine digitalen Blackboxen entstehen, die den Nutzer womöglich sogar noch diskriminieren. Der Bürger muss die Funktionsweise der Anwendungen verstehen und wissen, was ihn erwartet. Sollten Fehler auftreten, ist der Entwickler in der Pflicht, dem Anwender zu erklären, wie wie es zu diesem gekommen ist.”

Strikte Regeln oder freier Markt?

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurden erneut die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Politik und Wirtschaft deutlich.

Der Grünen-Politiker und Abgeordnete des Europaparlaments, Jan Philipp Albrecht, mahnte zu mehr Umsicht, denn “uralte ethische Konzepte müssen jetzt neu bedacht werden”.

Damit meint er vor allem die Entscheidung über Leben und Tod, die ein autonomes Fahrzeug treffen müsse. Aber auch die drohende Arbeitslosigkeit, die gerade durchschnittlich qualifizierte Arbeitnehmer betreffe, dürfe nicht ignoriert werden.

EU-Standards dürfen nicht aufgegeben werden

Positiv sieht der Europapolitiker die strengen Rahmenbedingungen, die in der EU bezüglich Daten- und Verbraucherschutz bestehen. “Wir dürfen unseren strengen Standards für den Weltmarkt nicht aufgeben, wir müssen es schaffen, Open-Source-Technologie mit rentablen Geschäftsideen zu vereinen.” Um dies zu gewährleisten, empfiehlt er die Einführung europaweiter Programmierstandards, die “Security by design” und “Privacy by Design” vorschreiben, ansonsten gehe “von jedem IoT-Gerät eine Gefahr aus”.

Weniger Regulierungswut für mehr optimale Marktbedingungen

Zu einer unkritischen Denkweise und weniger Regulierungswut tendierten Bundestagsabgeordnete Nicola Beer (FDP) und Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des arbeitgebernahen Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI).

Plöger ist der Meinung, man solle sich jetzt vor allem auf die Chancen der KI-Entwicklung konzentrieren: “Dem Konsumenten muss die Furcht vor der Zukunft genommen werden, die derzeitige Angst-Debatte verkompliziert nur den Umgang mit der neuen Technologie, dabei müssen wir jetzt optimale Bedingungen für den Mittelständer und die Industrie schaffen, damit diese die Neuerungen optimal in den Arbeitsprozess implementieren können.”

Auch Beer kritisierte die typische „German Angst“, die die öffentliche Debatte beherrsche. Besonders das Reizthema “Massenarbeitslosigkeit” werde mit einem überspitzten Pessimismus diskutiert: “60 Prozent der Kinder, die heute eingeschult werden, arbeiten zukünftig in Berufen, die derzeit noch nicht existieren.”

Mit „German Angst“ zum Erfolg?

Doch gerade die häufig belächelte Ängstlichkeit der Deutschen könne laut Microsoft-Präsident Brad Smith der ausschlaggebende Erfolgsfaktor Deutschlands im Bereich der KI sein. Die „German Angst“ könne helfen, nicht zu optimistisch zu denken, wie es oft im Silicon Valley der Fall sei: “Probleme werden früh genug angepackt und nicht erst zu spät erkannt.”

Einer Sache ist sich Smith jedoch sicher: Die Zukunft werde dank der KI wieder menschlicher. ”KI wird uns dabei helfen, wieder mehr Zeit für uns und unsere Mitmenschen zu haben. Diese Zeit können wir nutzen, um die vielen anderen Probleme der Menschheit zu lösen.”

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