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Startup, Spielplatz, Schuldgefühl – Sind Karriere und glückliche Kinder vereinbar?

Es ist eine ewige Frage: Kann man doch beides haben, Kind und beruflichen Erfolg? Oder schließen sich am Ende beide Wünsche einfach kategorisch aus?

Miriam Mertens
futurezone-Kolumnistin Miriam Mertens gibt euch Tipps

Vor einigen Jahren hat sich ich bei mir als junge, aufstrebende Karrierefrau ein Statement eingebrannt: „You can‘t have it all“, geprägt durch Anne-Marie Slaughter, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin, in Bezug auf die Nicht-Vereinbarkeit von Top-Karriere und glücklicher Familie. Angekratzt hat sie damit die feministische Can-Do-Attitude. Sechs Jahre, zwei Kinder, eine ansehnliche Konzernkarriere und zwei Unternehmensgründungen später frage ich mich: Übersehe ich was? Wird mit solchen Slogans aufstrebenden Frauen unnötig Angst gemacht oder ist das alles eine unrealistische Utopie?

Schwarz-weiße Fronten

Um erst einmal Klartext zu sprechen: In meinem Leben läuft nicht immer alles rund. In meinem Kopf schon gar nicht. Ständig bin ich am Zweifeln, am Hadern, am Sorgen machen, ob es meinen zwei kleinen Jungs in Kita oder Schule auch gut genug geht, ob mein Startup sich nicht noch schneller entwickeln könnte, wenn ich doch nur mehr Zeit hätte, ob das generell alles überhaupt das Richtige ist, oder ich doch nicht lieber den Bio-Bauernhof auf dem Land haben möchte. Das große ganze Job-Familien-Konstrukt mit etwas Distanz und Muße betrachtet, läuft aber eigentlich ganz gut. Nicht immer, aber meistens.

Häufig wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wie eine Entweder-Oder-Frage dargestellt – es geht oder es geht nicht. Und im berühmten „You can´t have it all“ liegt – oberflächlich betrachtet – die Kapitulation auf dem Präsentierteller – wohingegen Sheryl Sandberg von Facebook mit ihrem Beststeller „Lean In“ den genauen Gegenpol beschwört: „Du musst Dich nur genug anstrengend, dann geht es auch“.

Für mich ist die Antwort auf die Frage der Vereinbarkeit von Top-Karriere und Familienglück ein klares „kommt drauf an, was man will“. Mir persönlich haben vier Schritte sehr geholfen, meinen Weg zu gehen und damit – trotz mancher Kompromisse – glücklich zu sein.

Frauen müssen sich entscheiden zwischen Beruf und Familie. Ist das wirklich so?
Frauen müssen sich entscheiden zwischen Beruf und Familie. Ist das wirklich so?
Foto: imago/PhotoAlto

1. Werde Dir über Deine Lebensvision und Deine Motivatoren im Leben klar

Ein erfülltes Leben mit Kindern und Job ist möglich – aber viel entscheidender ist, was man als erfüllend ansieht. Wer einerseits große Ziele für den Job, Gehalt und Führungsverantwortung hat und gleichzeitig einen hohen Anspruch an persönliche Begleitung der Kinder wird auf jeden Fall eins werden – unglücklich!

Daher ist es so wichtig, sich sehr klar zu sein über die persönlichen Motivatoren und Werte: Was ist eigentlich meine persönliche Vision von meinem Leben. Woran will ich mich, wenn ich alt bin, erinnern? Was gibt mir innere Stärke und Kraft? Und das ganz unabhängig davon, was andere darüber denken könnten, oder was gesellschaftlich wünschenswert wäre. Auch wenn es abgedroschen ist – unglückliche Mütter (oder Väter), die zu Hause sitzen und die Kinder mitverantwortlich machen, dass sie sich nicht beruflich selbstverwirklichen können, sind nicht erstrebenswert. Wichtiger erster Schritt: sich klar machen, warum die berufliche Selbstverwirklichung so wichtig erscheint – und was man dafür bereit ist, aufzugeben.

2. Reduziere Deine Erwartungen, alles 100% haben zu können

Basierend auf den Motivatoren gibt es dann nur ein Rezept: Die Erwartungen hinsichtlich der anderen Lebensbereiche entsprechend reduzieren. Was heißt das konkret: Wer tiefe Kraft daraus zieht, mit seinen Kindern selber intensiv die Welt zu erkunden und sie täglich nach Schule oder Kita zu begleiten, wird unglücklich werden, wenn er gleichzeitig versucht, eine Fulltime-Karriere hinzulegen.

Die Vorstellung, alles zu 100% bekommen zu können, ist meiner Erfahrung nach einfach unrealistisch und führt mit ziemlicher Sicherheit zu Stress und Ausgebranntsein. Wer sich vorher ganz klar gemacht hat, was ihn wirklich im tiefsten Inneren antreibt und was ihm Kraft gibt, der kann viel leichter mit gutem Gewissen auf etwas anderes verzichten und weiß, dass diese Wahl wirklich gut für ihn ist. Mit dieser Klarheit sind dann eigentlich alle Lebensmodelle möglich.

3. Stop the victim inside you

Ganz klar: Vieles könnte in Punkto Arbeitsbedingungen in Unternehmen, Arbeitszeitflexibilität und Kinderbetreuungsmöglichkeiten besser sein und würde uns das Leben leichter machen. Im Hier und Jetzt hilft das lamentieren aber nicht, daher gilt für mich vor allem eins: Ändere alles an Rahmenbedingungen, was nicht in Dein Zielmodell passt. Und das möglichst so früh, schnell und klar wie möglich.

Ansprechen, einfordern, im Zweifel weggehen. Und sich dabei radikal auf das eigene Bauchgefühl verlassen. Wenn die innere Stimme sagt – die Umstände passen hier gerade so nicht für mich, ist da auch was dran und man sollte tunlichst vermeiden, sich selber den Umständen auf Teufel komm raus anzupassen, oder wie Robert Franken zum Thema Gender Diversity sagt: Stop fixing women!

In meiner Erfahrung der letzten Jahre war in Punkto Flexibilität im Job, Arbeitsverteilung zu Hause etc. viel mehr möglich, als es auf den ersten Blick schien. Essenziell dafür ist aber eine absolute Sicherheit über die eigenen Prioritäten und Klarheit in der Kommunikation. Für mich war in einer herausfordernden Familiensituation der Schritt in die Gründung meines eigenen Startups genau der richtige. Als Gründerin habe ich zeitlich mehr Freiheiten und muss aktuell weniger reisen, was die Organisation zu Hause deutlich erleichtert hat.

Gleichzeitig war mir aber auch ganz klar, dass das Startup-Leben kein Zuckerschlecken ist und eher mehr als weniger Arbeitsstunden mit sich bringt, sowie finanzielle Unsicherheit bedeutet. Ein Kompromiss, den ich im Moment gut eingehen kann. Die Learnings, neuen Sichtweisen und neuen Kontakte, die ich durch den Perspektivwechsel gewinne, zählen dabei aber mindestens genauso viel.

Um Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen, gilt es umzudenken.
Um Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen, gilt es umzudenken.
Foto: imago/PhotoAlto

4. Nichts ist für die Ewigkeit

Wir beurteilen häufig Entscheidungen dahingehend, als wären es Entscheidungen auf Lebenszeit. In unserer dynamischen Welt von heute weiß keiner, welche Herausforderungen auf uns in fünf oder zehn Jahren zukommen, daher gibt es nur eine Lösung: flexibel bleiben und nicht am Status Quo anhaften.

Mir hilft diese Haltung sehr dabei, Situationen weniger dramatisch zu sehen und offen zu bleiben für Alternativen. Ist beispielsweise aktuell die Kindersituation zu Hause durch viel Fremdbetreuung geprägt (scheint aber für alle Beteiligte OK zu sein)? Dann warum jetzt schon Sorgen machen, wie es wird, wenn sich das einmal ändert. Andersrum genauso: Aktuell steht einfach Elternzeit an – dann genießt es, es muss ja nicht für immer sein.

Im Gegenteil – wer in seinem Werdegang bewiesen hat, dass er sich flexibel auf Lebenssituationen und Umstände anpassen kann, ist auch aus Unternehmenssicht wertvoller. Wer sich in einer Familiennotlage bewusst dafür entscheidet, ein wichtiges Meeting abzusagen, dem kann ich nur gratulieren, denn er weiß, was aktuell ansteht und kann offensichtlich Prioritäten richtig beurteilen.

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Mehr Mutausbruch

Abschließend daher mein Plädoyer zum Thema Vereinbarkeit von Karriere und Kindern: Werdet Euch klar über Eure Vision im Leben und was Ihr wirklich wollt – und akzeptiert auf der Basis, dass man Kompromisse eingehen muss – und das diese auch gut sind! Weniger Angst, mehr Mut, den eigenen Weg zu gehen!

Über Miriam Mertens

Miriam Mertens‘ Leidenschaft gilt der Tech-Branche, Startups und dem Weltfrieden – und das am besten alles drei in Kombination. Sie begleitet seit vielen Jahr die deutsche Start-up-Szene, zuletzt in ihrer Rolle als Vice President Startup-Kooperationen bei der Telekom. Gerade baut sie ihr eigenes Startup Happy Rebels auf, was durch Online-Coaching-Produkte Menschen hilft, freier und selbstbestimmter zu leben.

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