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„Digitalisierung ist eine Jahrhundertaufgabe“: Wie Deutschland es schaffen kann, erklärt BITMi-Präsident Oliver Grün

Keiner kann so gut Produkte herstellen wie Deutschland, findet der Präsident des Bundesverbandes IT-Mittelstand e.V. Gerade deshalb sollten wir aufhören nur aus dem Silicon Valley zu kopieren.

Oliver Grün Porträt
Oliver Grün ist Präsident des bitmi. Der Mittelstand ist für ihn das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Foto: Oliver Grün

Denn Deutschland hängt beim Thema Digitalisierung noch immer hinterher: Union und SPD wollen die Herausforderungen mehr als „digitale Offensive“ anpacken denn als eigenes Ressort mit übergeordneter Verantwortlichkeit, die Brückentechnologie Vectoring schafft noch immer keine superschnellen Internetgeschwindigkeiten für alle und von der Online-Diagnose durch den Arzt sind wir noch sehr weit entfernt.

Noch ist es allerdings nicht zu spät, findet Oliver Grün. Er meint, dass „Deutschlands Antwort auf das Silicon Valley“ im Mittelstand bereits gefunden ist, wir aber unternehmerisch und rechtlich noch immer vom „großen Bruder abschreiben“ würden, also der Tech-Supermacht USA. Das müsse sich ändern.

Grün ist vieles: Alleinaktionär und Vorstand der Grün Software AG, die Software zur Mitgliedsorganisation für Verbände, Vereine und andere Organisationen bereitstellt. Er ist Mitgründer des gemeinnützigen Betreibers der Spendenplattform betterplace.org, das inzwischen größte Spendenportal Deutschlands im Netz. Er ist Präsident des IT-Mittelstand-Europaverbandes European DIGITAL SME Alliance und Präsident des Bundesverbandes IT-Mittelstand e.V. (BITMi). Seit 2013 berät er außerdem als Mitglied des IT- Beirats der Bundesregierung das Wirtschaftsministerium zu Fragestellungen der digitalen Wirtschaft.

Kaum jemand kennt sich also so gut mit den digitalen Herausforderungen der deutschen Unternehmer aus wie er. Wir haben mit dem Diplom-Ingenieur darüber gesprochen, wieso die Politik die digitale Revolution verpassen könnte, was Blockchain dagegen tun kann und ein Digitalminister noch mehr.

futurezone.de: Herr Grün, was bedeutet für Sie eigentlich Mittelstand?
Oliver Grün: Der Mittelstand ist das Rückgrat unseres Wohlstands. Das sind Unternehmen, die den größten Teil der Innovationen sicherstellen, die wir aktuell so dringend benötigen.

Warum erkennt das kaum jemand?
Für viele ist es einfacher mit großen Konzernen zu sprechen. Daneben ist wohl ein Grund, dass es uns, also der deutschen Wirtschaft momentan einfach zu gut geht. Dabei erkennen wir gar nicht, was um uns herum passiert, die digitale Revolution, das ist fundamental.

Kleine, mittelständische Unternehmen machen schon über 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland aus und tragen 35 Prozent des gesamten Umsatzes der Unternehmen bei. Sie spielen also eine sehr wichtige Rolle für die deutsche Wirtschaft. Was muss – auch auf politischer Ebene – passieren, damit mittelständische Unternehmen digitaler werden?
Es gibt bereits gute Intiativen wie die Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren des Bundeswirtschaftsministeriums, der Bedarf wurde also auf politischer Ebene bereits erkannt. Das große Problem ist allerdings, dass die Politik die digitale Revolution, in der wir uns für einen Zeitraum von 10 Jahren befinden, bisher zugunsten von tagesrelevanten Themen wie der Finanzkrise oder der Flüchtlingseinwanderung zurückgedrängt hat.

Das führt dazu, dass über das, was nachhaltig die Welt verändert, kein Mensch redet. Hier muss die Politik mehr Anreize schaffen, damit mittelständische Unternehmen selbst in ihre eigene Digitalisierung investieren.

Denn schließlich ist es das Ziel der Digitalisierung, das Leben der Kunden effizienter, einfacher, sicherer und gesünder zu machen. Das sollte grundsätzlich auch das Ziel eines jeden Wirtschaftsunternehmens sein.

„Es geht darum die gesamte Unternehmenskultur umzustellen“

Wer sich aus eigener Kraft digitalisieren will, muss sich das aber auch leisten können oder nicht?
Die Kosten, die dadurch entstehen, sind nicht das Problem, denn schließlich geht es unserer Wirtschaft aktuell sehr gut, sie macht wahnsinnig viele Gewinne. Was fehlt, ist eher das konkrete Verständnis, dass Digitalisierung nicht nur digitale Optimierung bedeutet, sondern auch aus einem zweiten Schritt, der digitalen Transformation, besteht.

Was bedeutet das?
Optimieren können deutsche Unternehmer bereits gut, das hat Tradition. Was aber nicht gesehen wird, ist, dass die wirklichen Wertschöpfungstreiber in der digitalen Transformation stecken, also dem Veränderungsprozess, der auf digitale Technologien setzt und Produkte oder Dienstleiustungen des gesamten Unternehmens verändern kann. Dabei geht es nicht allein darum, Big Data, Cloud Computing und anderes anzuwenden, sondern die gesamte Unternehmenskultur darauf umzustellen und neue Geschäftsmodelle zu erfinden.

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Die große Herausforderung ist, dass die neuen Wettbewerber wie Facebook, Amazon und Google der Wirtschaft die Kunden abziehen. Die ersten zwei Unternehmen im Silicon Valley sind tatsächlich mehr Wert, als alle Unternehmen des deutschen Dax zusammen.

Das ist im Moment ein Wettlauf zwischen den USA und Asien. Mit Wechat Payment haben es die Asiaten geschafft, das Payment-Modul der Zukunft zu schaffen. An einem Tag fanden auf der Plattform 80 Milliarden Transaktionen statt, das sind zehnmal so viele wie bei Paypal in einem ganzen Jahr, vor dem gerade alle in Europa noch Angst haben. Der Wettbewerb hat sich also drastisch verändert. Die Aufgabe unserer Wirtschaft ist nun, derartige Plattformen selbst zu schaffen.

„Digitalisierung ist kein PR-Thema“

Sie sind Mitglied des IT-Beirats der Bundesregierung, der das Bundeswirtschaftsministerium zu Fragestellungen der digitalen Wirtschaft berät. Wie stehen Sie persönlich zur Idee eines Digitalministerium?Dieser sogenannte Beirat der jungen digitalen Wirtschaft ist tatsächlich derzeit der einzige, der die Bundesregierung in diesen Belangen berät. Allein das sagt schon viel aus. Wir als BITMi haben auch uns an der Petition für ein Digitalministerium beteiligt, zusammen mit inzwischen fast 50 anderen deutschen Wirtschaftsverbänden. Sowohl der Beirat als auch BITMi als auch ich selbst stehen für ein Digitalministerium ein.

Die Geschwindigkeit, mit der die Digitalisierung voranschreitet, ist viel schneller als die Politik. Denn kurioserweise werden Fragen zum Digitalen über ganze fünf Ministerien verteilt, die natürlich alle unterschiedliche Interessen vertreten. Selbst die Stabstelle eines eigenen Staatsministers für Digitales, den Union und SPD noch im Wahlkampf versprochen hatten, wurde – mittlerweile aufgegeben. Schade.

Deshalb bedarf es dringend einer zentralen Kompetenz, die digitale Sachverhalte anpackt. Digitalisierung ist schließlich eine Jahrhundertaufgabe. Es muss ein eigenes Ministerium her und sei es für erstmal 20 Jahre. Digitalisierung ist kein PR-Thema, sondern muss gebündelt werden.

Haben SPD und Union Ihrer Meinung nach mit dem Koalitionsvertrag die Tragweite der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft erfasst?
Ich sehe da weder eine digitale Strategie noch eine Vision, allerdings zwei sinnvolle Ansätze: Um den digitalen Standort Deutschlannd auch in 20 Jahren zu erhalten, sind zwei Klassiker von Nöten: eine digitale Infrastruktur und digitale Bildung.

Das hat der Koalitionsvertrag aufgegriffen, zum Beispiel mit einem zweistelligen Miliardenbetrag für den Glasfaserausbau, der in Aussicht gestellt wurde. Abenteuerlich ist allerdings das formulierte Ziel, Deutschland zur Weltspitze der digitalen Infrastruktur machen zu wollen, denn derzeit sind wir abgeschlagen auf den hintersten Plätzen.

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Daneben schätzen wir vom BITMi das Ziel der Koalitionspartner, mehr in digitale Bildung investieren zu wollen. Wir als einer der Wirtschaftsverbände fordern aber mehr: zum Beispiel Programmieren ab der Grundschule als eigenständiges und grundsätzliches Schulfach zu etablieren. Das ist heuzutage so wichtig wie Englischkenntnisse.

Im Moment tut Deutschland leider noch viel dafür, dass unsere Kinder 2050 abgehängt sind, weil heute nicht in Digitalisierung investiert worden ist. Ganz Europa muss in digitale Innovationen investieren, hat aber noch zu viel Angst davor. Es ist als würden die USA und Asien im Auto zehn Kilometer vor uns mit 100 Stundenkilometern fahren und wir fahren mit gemächlichen zehn Stundenkilometern weit dahinter – und sind damit auch noch zufrieden.

„Wovor die USA und Asien am meisten Angst haben“

Ist Blockchain eine Chance für die deutsche Industrie, insbesondere im Mittelstand?
Blockchain ist ganz klar eine Zukunftstechnologie, die auch im Mittelstand umgesetzt werden muss. Sie hat durchaus die Chance, eine ähnliche Entwicklung zu machen wie das Internet seit 1995. Deshalb gilt es, sie vor allem in der deutschen Industrie zu pushen, noch ist es früh genug dafür.

Blockchainbasierte Gründungen, die ICOs, können momentan noch leicht von Kriminellen missbraucht werden. Deshalb ist es natürlich wichtig, solche ICOs zu regulieren. Dennoch sind sie eine Möglichkeit, das so dringend benötigte und geforderte Risikokapital in Start-ups zu erhöhen. Eine freie Zone als Sonderwirtschaftszone für ICOs, in der es für Start-ups nicht strafrechtlich problematisch wird, ist notwendig.

Letzendlich bringt es nichts, alles zu verteufeln, allerdings müssen wir aber auch weg vom Wilden Westen der ICO-Landschaft, wie sie aktuell noch besteht. Ich sehe auch bei der Digitalisierung insgesamt noch eine ganz klare Chance für Deutschland als Hersteller von weltmarktführenden Produkten. Wir müssen ergänzend zu unseren Produkten neue Geschäftsmodelle und –strukturen aufbauen und nicht nur die aus dem Silicon Valley kopieren. Denn das ist es auch, wovor die USA und Asien am meisten Angst haben: Keiner kann so gut Produkte herstellen wie Deutschland – jetzt müssen wir die digitalen Plattformen dazu erfinden.

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