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So funktioniert Flüchtlingshilfe mit der Blockchain-Technologie

Mit Hilfe der Blockchain-Technologie wurde in einem jordanischen Flüchtlingslager eine kostensparende Finanzinfrastruktur geschaffen.

Iris-Scan
Neue Finanzinfrastruktur mit Irisscannern und Blockchain-Technologie. Foto: imago/Science Photo Library

Wenn die rund hunderttausend syrischen Flüchtlinge im jordanische Lager Azraq Lebensmittel kaufen, bezahlen sie nicht mit herkömmlichem Geld, Vouchern oder Bankkarten, sondern mit einem Scan ihrer Augen.

Datenabgleich

Abgewickelt werden die Zahlungsvorgänge mittels Blockchain, der Technologie auf der unter anderem digitale Währungen wie Bitcoin basieren. Auf diese Weise ist im Flüchtlingscamp eine eigene Finanzinfrastruktur entstanden, die von Banken oder anderen Institutionen unabhängig ist.

An der Kasse des Camp-eigenen Supermarktes schauen die Flüchtlinge in ein elektronisches Gerät, das an eine kleine Digitalkamera erinnert. Dabei wird ihre Iris gescannt, durch einen Datenbankabgleich ihre Identität festgestellt und der Einkauf auf ihrem Konto vermerkt. Damit sind die Lebensmittel auch schon bezahlt.

Vollautomatisierte Buchhaltung

Abgewickelt werden die Bezahlvorgänge über eine eigene Blockchain, die auf der Technologie von Ethereum basiert. Der Vorteil der Blockchain ist, dass all die nötigen Informationen verschlüsselt und nicht manipulierbar gespeichert werden. Die Einträge in der Blockchain können jederzeit ausgelesen werden, was einer vollautomatisierten Buchhaltung gleichkommt.

„Früher mussten dafür fälschungssichere Voucher produziert, verteilt, abgerechnet und abgelegt werden, was einen riesigen logistischen Aufwand zur Folge hatte. Später wurde eine derartige Verteilung von Transferleistungen mit speziellen Bankkarten durchgeführt, was enorme Transaktionskosten und Abhängigkeit von Banken bedeutet“, erklärt Jörg Blumtritt, Mitgründer und CEO vom Münchner IT-Unternehmen Datarella, das wesentlich am Aufbau der Blockchain-basierte Finanzinfrastruktur in Azraq beteiligt ist.

Building Blocks

Ungeachtet der Hysterie rund um Spekulationsgewinne bei Kryptowährungen hat das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP der UN) das Potential der dahinterliegenden Blockchain-Technologie bereits früh erkannt und das Pilotprojekt „Building Blocks“ ins Leben gerufen. Dabei werden Anwendungsszenarien wie im Flüchtlingscamp Azraq getestet und versucht, die Möglichkeiten der Technologie auszuloten.

Seither ist aus „Building Blocks“ ein voller Erfolg geworden. „Der UN-Hilfsorganisation ist es mithilfe der Blockchain gelungen, bürokratische Hürden abzubauen und Abhängigkeiten von Banken massiv zu reduzieren“, sagt Blumtritt zur futurezone. Allein im Flüchtlingscamp Azraq können auf diese Weise monatlich rund 150.000 Dollar eingespart werden.

Autonome Blockchain-Finanzinfrastruktur

Da die Geldtransaktionen, etwa in den Supermärkten innerhalb des Camps nicht mehr mithilfe von Banken durchgeführt, sondern dezentral in der Blockchain abgewickelt werden, fallen nun gut 98 Prozent weniger Bankgebühren an.

„Neben den gewaltigen Kosteneinsparungen kann das UN-Welternährungsprogramm von der hohen Transparenz und Nachvollziehbarkeit der gesamten Transferleistungen profitieren, da sie gegenüber Geldgebern und Geberländern genau nachweisen kann, was mit den Zuwendungen passiert“, erklärt Blumtritt.

In einem weiteren Schritt, soll die autonome Blockchain-Finanzinfrastruktur auf alle jordanischen Flüchtlingscamps ausgeweitet werden. Im Laufe der nächsten Monate sollen dadurch mehr als 500.000 syrische Flüchtlinge in Jordanien profitieren. Insgesamt versorgt das UN-Welternährungsprogramm rund 100 Millionen Menschen in 80 Ländern mit Lebensmitteln.

Mögliche Übernahme von anderen Hilfsorganisationen

Datarella hat gemeinsam mit Parity Technologies, einem Start-up des Ethereum-Mitgründers Gavin Wood, die Finanzinfrastruktur für das jordanische Flüchtlingscamp entwickelt. Die abgeschottete Blockchain in Azraq basiert auf Ethereum und wird ausschließlich von der UNO selber betrieben, wodurch keine Transaktionskosten anfallen und etwaige Fehler leicht behoben werden könnten.

Die Irisi-Scanner stammen direkt von der jordanischen Firma IrisGuard. Dadurch könne auch gewährleistet werden, dass die Daten aus den Scans sicher vor Ort aufbewahrt werden.

„Unsere Blockchain-Lösung wird in einigen Wochen evaluiert. Wenn sie als Buchhaltungsprogramm anerkannt und zertifiziert wird, wird das System auch von anderen Hilfsorganisationen übernommen. Aus der Private-Blockchain soll dann eine Konsortium-Blockchain entstehen, an der mehrere NGOs beteiligt sind“, erklärt Blumtritt gegenüber der futurezone, die Datarella im Rahmen der Blockchain-Zukunftsreise des österreichischen AußenwirtschaftsCenter München der WKO besucht hat.

Ähnliche Blockchain-Projekte

Ähnliche Pilotprojekte unter Einbeziehung der Blockchain-Technologie hat das UN-Welternährungsprogramm bereits Anfang 2017 in Pakistan durchgeführt. Dabei wurden bedürftigen Familien über eine Smartphone-App Nahrungsmittel-Voucher zur Verfügung gestellt. Auch hier wurden Identitätsfeststellung und Transaktionen in einer eigens entwickelten Blockchain abgewickelt.

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Auch bei dem „Million Meals“-Programm, bei dem jeden Tag 1,6 Millionen Kindern in Indien mit einer Mahlzeit versorgt werden, kommen moderne Technologien zum Einsatz. Die Blockchain dient als digitaler Verwalter, der Informationen nachvollziehbar speichert.

Mithilfe von Sensoren und dem Internet der Dinge werden die Lieferkette und der Zubereitungsprozess der Lebensmittel überwacht. Mit all den zur Verfügung stehenden Daten hilft eine künstliche Intelligenz den Bedarf der kommenden Tage vorherzusagen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei futurezone.at.

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