Angesichts steigender Strompreise und wachsender Unsicherheit über die energiepolitische Ausrichtung der Bundesregierung warnt Vattenfall-Deutschlandchef Robert Zurawski vor einem Rückschritt bei der Energiewende. In einem aktuellen Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) bezeichnete er die aktuelle Entwicklung als riskant – insbesondere mit Blick auf die geplanten 20 Gigawatt (GW) Gaskraftwerke. Diese seien nicht nur teuer, sondern drohten auch, die eigentlichen Ziele aus dem Blick geraten zu lassen.
Die Energiewende ist keine Option – sondern Realität
Die Kritik kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) die im April angekündigte Kraftwerksstrategie verteidigt. Geplant ist der Aufbau von mindestens 20 GW sogenannter H2-ready-Kraftwerke, die in Fällen ausgleichen sollen, in denen Erneuerbare nicht ausreichend Energie liefern. Die erste Ausschreibung ist laut Ministerium bis Ende 2025 vorgesehen. „Vorschriften, Richtlinien und Berichtspflichten lähmen die Unternehmen“, erklärte Reiche Mitte Mai in ihrer Rede vor dem Bundestag. „Wir müssen vereinfachen, straffen, streichen.“
Eine aktuelle Analyse im Auftrag des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FOES) beziffert die voraussichtlichen Förderkosten dieser Anlagen auf bis zu 32 Milliarden Euro – umgelegt auf den Stromverbrauch wären das bis zu 1,6 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh).
Vattenfall hingegen stehe für „Fossilfreiheit“, betont Robert Zurawski im SZ-Interview (Paywall). Das wiederum motiviere vor allem junge Leute, die sich für eine Welt ohne CO2-Emissionen einsetzen wollen, dazu, bei dem Energieunternehmen anzufangen. Zurawskis Haltung gegenüber Gaskraftwerken ist klar: „Europa bleibt nur wettbewerbsfähig, wenn es fossile Energie hinter sich lässt. Nicht umgekehrt.“
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Der Preis der Verzögerung
Die Kritik des Deutschlandchefs ist nicht ideologisch, sondern pragmatisch geprägt. Engpässe im Stromnetz und politische Unsicherheit treiben die Preise – und bremsen zugleich die Transformation. „Wir haben Windparks zur See“, sagt er mit Blick auf den Vattenfall-Offshore-Windpark DanTysk in der Nordsee, „da werden wir in einem Viertel der Zeit, in der wir einspeisen könnten, eingebremst“.
Weil Stromleitungen an Land fehlen, könne dort oft nur ein Teil der erzeugten Energie eingespeist werden. Die Folge: „Wir stehen aktuell vor der Frage, ob wir den Netzausbau beschleunigen oder den Ausbau der Erneuerbaren ausbremsen. Für mich kann es da nur eine Antwort geben: Netzausbau.“
Was das für dich bedeutet:
Trotz sinkender Börsenpreise liegt der durchschnittliche Strompreis für Haushalte 2025 bei rund 39,7 ct/kWh. Fast 11 ct/kWh davon entfallen allein auf Netzentgelte – also die Nutzung des Stromnetzes.
Während Unternehmen teilweise durch Steuererleichterungen entlastet werden, zahlst du als Privatperson weiterhin 2,05 ct/kWh Stromsteuer – zusätzlich zur Mehrwertsteuer. „Wir hätten uns über eine geringere Stromsteuer für alle gefreut“, sagt Zurawski. „Jetzt bleibt sie hoch und das könnte manche Haushalte davon abhalten, zum Beispiel auf ein E-Auto oder eine Wärmepumpe umzusteigen.“
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Technik reif, Vertrauen nicht
Vattenfall betreibt eigene Handwerksbetriebe und installiert Wärmepumpen in ganz Deutschland. Doch der Markt hat einen Dämpfer bekommen: 2024 brach der Absatz um 46 Prozent ein. Grund war vor allem die politische Unsicherheit rund um das Gebäudeenergiegesetz. „Schon letztes Jahr war nicht das Jahr der Wärmepumpe“, sagt Zurawski. Und er fürchte, dass 2025 ähnlich verlaufen könnte – obwohl sich der Einbau laut ihm für die meisten Haushalte bereits jetzt rechne.
Denn während die Kosten für CO2 im Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) steigen – aktuell liegt der Preis bei rund 71 Euro pro Tonne CO2 –, wird Gasheizen teurer. Gleichzeitig haben Wärmepumpen in den letzten fünf Jahren große technische Fortschritte gemacht.
„Die EU-Kohlenstoffpreise sind bis 2025 aufgrund der geopolitischen Unsicherheit und der Turbulenzen im Handel in Bedrängnis geraten, was das Aufwärtspotenzial begrenzt hat“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Henry Lush, Analyst für den Kohlenstoffmarkt bei Veyt. Mit einer deutlichen Verengung des Marktes rechnet Energy Aspects-Analyst Ben Lee. Grund dafür sei ein Rückgang des Angebots „aus Auktionen als auch aus der freien Zuteilung in diesem Jahr“.
Das würde nicht nur für Unternehmen teurer, sondern könnte sich langfristig auf Heiz- und Strompreise auswirken – vor allem bei fossilen Energieträgern wie Gas, Öl oder Kohle.
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Nicht wanken, sondern durchziehen
Statt neue Gaskraftwerke zu fördern, wünscht sich Zurawski mehr Fokus auf eine intelligente Nachfragesteuerung. „Wir sprechen immer über das Angebot, aber selten über die Nachfrage.“ Digitale Stromzähler – sogenannte Smart Meter – und dynamische Tarife könnten Haushalten helfen, Strom genau dann zu nutzen, wenn er am günstigsten ist. Und das entlastet nicht nur die Stromrechnungen, sondern auch das Netz.
Vattenfall investiert auch in Großspeicher, etwa ein neues Pumpspeicherkraftwerk mit bis zu 500 Megawatt (MW) Leistung in Thüringen – das entspricht in etwa der Leistung eines mittleren Gaskraftwerks, nur ohne CO2-Ausstoß. Dazu kommen Batteriespeicher, intelligente Tarife und durch Künstliche Intelligenz (KI) gestützte Laststeuerung.
„Letztes Jahr wurde in Deutschland der Strom zu 57 Prozent aus erneuerbaren Energien produziert. Aber Netze und Speicher sind nicht mitgewachsen, und das müssen wir nachholen. Ein Rückschritt wäre da fatal, der würde alles nur noch teurer machen. Wir haben da gerade einen Berg an Kosten und Investitionen vor uns. Aber wenn wir da drüber sind, wird es wieder günstiger.“
Robert Zurawski
Kurz gesagt: Wer jetzt die Energiewende infrage stellt oder zögerlich umsetzt, sorgt für noch höhere Kosten – und verspielt die Chance auf ein klimaneutrales, zukunftsfähiges Energiesystem.
Quellen: Deutscher Bundestag; Süddeutsche Zeitung; Reuters
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