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Wer auf Nachhaltigkeit Wert legt, sollte Insekten essen

In Europa gelten Insektensnacks immer noch als exotisch. Dabei sind die Tiere enorm eiweißreich, anspruchslos in der Aufzucht und deutlich umweltschonender als herkömmliche Viehhaltung.

Insekten auf einem Grill.
Gegrillte Käferlarven auf dem Spieß: Insekten könnten in Zukunft dabei helfen

Jedes Jahr wächst die Weltbevölkerung um 83 Millionen Menschen. 2050, so schätzen die Vereinten Nationen, werden 9,8 Milliarden auf der Erde leben. Die Menschheit steht spätestens dann vor einem großen Problem: Wie ernährt man Frauen, Kinder und Männer?

70 Prozent mehr Bedarf bis 2050

„Wir werden einen Bedarf an 70 Prozent mehr Nahrung haben“, erklärt Wissenschaftler Marcel Dicke von der Universität Wageningen. „Wollen wir auch einen Anstieg des tierischen Eiweißes erreichen, ist dies durch eine Ausweitung der aktuellen Fleischproduktion nicht möglich.“ Das heißt, mit unserer traditionellen Fleischproduktion würden wir am Ende stehen. Es gäbe allerdings Alternativen, so der Forscher, und „eine davon sind Insekten“.

Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO ernähren sich weltweit etwa zwei Milliarden Menschen von den kleinen Tierchen. Vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika gehören Insekten fest zum Speiseplan. Immerhin rund 1.800 essbare Insektenarten gibt es. Ganz oben auf der Speisekarte stehen Käfer, Raupen, Bienen, Wespen, Ameisen, Heuschrecken und Grillen, die wie klassische Fleischarten ebenso hochwertigen Eiweiß liefern. Natürlich gibt es auch alternative Nahrungsmittel der Zukunft, doch speziell Insekten sind bei der Aufzucht und beim Futter allerdings deutlich anspruchsloser.

Ihr hoher Proteingehalt macht sie besonders nahrhaft, weswegen sie in vielen Ländern eine so wichtige Nahrungsquelle darstellen. In Uganda zum Beispiel. Hier sind manche Käfer deutlich teurer als Rindfleisch. In Europa gelten Insektensnacks dagegen heute noch als exotisch. Das aber könnte sich ändern.

Insekten sind nun auch in Europa als Lebensmittel erlaubt

Seit Anfang des Jahres gilt in der Europäischen Union die Novel Food Verordnung Nr. 2015/2283. Die besagt: Insekten sind als Lebensmittel erlaubt. Der Mehlwurm darf nun sowohl am Stück als auch verarbeitet verkauft werden. Viele Unternehmen stehen in den Startlöchern und sehen großes Marktpotenzial. Der Metro-Konzern bietet seit März Würmer-Nudeln an, allerdings zunächst in einer dreimonatigen Testphase und nur in dem Laden „Emmas Enkel“ in der Düsseldorfer Metro-Zentrale.

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Dort erhält das neuartige Angebot Zuspruch. Die Kunden seien interessiert an dem neuen Produkt, sagt eine Sprecherin unserer Redaktion. Man müsse nun sehen, ob es sich um einmalige Eventkäufer handele oder ob Kunden auch bereit seien, die Nudeln in ihren Ernährungsplan aufzunehmen. „Eine Listung in weiteren Startup-Regalen ist bereits in Planung“, so die Sprecherin.

Bugfoundation verkauft Insektenburger

Auch Ikea hat den Markt für Insekten als Nahrungsmittel sich entdeckt. Im März verkündete das Unternehmen, dass es mit dem Forschungs- und Innnovationslabor Space 10 an einer nachhaltigen Speisekarte arbeitet. Die beliebten Kötbullar werden dabei zu „Neatballs“ aus Mehlwürmern. Bis die Ikea-Kundschaft jedoch in den Genuss dieser neuen Fleischbällchen kommt, dürfte es allerdings noch eine Weile dauern – bisher handelt es sich nur um Experimente.

Viel weiter in dem neuartigen Geschäft ist die Bugfoundation aus Osnabrück. Baris Özel und Max Krämer verkaufen seit 2016 in Belgien und seit 2017 in den Niederlanden ihre Burger auf Basis der Buffalowurmlarve. Die haben ein nussiges Aroma, „so Richtung Sonnenblumenöl“, erklärt Özel unserer Redaktion. Dazu kommen ein hoher Anteil an Eiweiß, ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen wie beispielsweise Eisen, Magnesium und Zink.

Die kleinen Tierchen liefert Proti Farm aus den Niederlanden. Das Land ist Vorreiter bei der Züchtung von Insekten als Nahrungsmittel. „In den Niederlanden gibt es insgesamt etwa zehn Farmen“, sagt Proti-Farm-Gründerin Heidi de Bruin.

Ohne Hormone oder Antibiotika

Proti Farm züchtet neben dem Buffalokäfer noch neun weitere Insektenarten. Die Larven des Buffalokäfers leben zu Tausenden in kleinen Wannen zusammen. Doch im Vergleich zur Massentierhaltung bei Schweinen würde man keine Hormone oder Antibiotika einsetzen, erklärt de Bruin: „Krankheiten bei den Insekten hatten wir noch nicht.“

Die Niederlande sind einer der größten Insektenproduzenten. „In unserem Land gibt es drei große und mehrere kleine Betriebe. Es entsteht ein neuer landwirtschaftlicher Sektor und die Niederlande nehmen dabei eine Führungsrolle ein“, sagt Wissenschaftler Marcel Dicke. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Insekten – für ihn das Nahrungsmittel der Zukunft. Die Insektenzucht ist nachhaltiger. So braucht man einer Studie der Vereinten Nationen zufolge für ein Kilo Fleisch aus Grillen nur etwa zwei Kilo Futtermittel. Bei Schweinen ist es die vierfache Menge, bei Rindern die zwölffache.

Gleichzeitig produzieren Insekten deutlich weniger CO2 als Kühe oder Schweine. „Wir sorgen für hundertmal weniger Treibhausgase und verbrauchen viel weniger Platz, weil die Zucht auch vertikal stattfindet“, erläutert Bugfoundation-Gründer Baris Özel.

Bugfoundation-Gründer brachten die Idee aus Thailand mit

Selbst die Tötung der Tiere sei moralisch vertretbar. Die Insekten kommen in eine Kältekammer, wo sie in eine Art Schockstarre fallen. „Wenn man die Temperatur dann noch weiter hinunterfährt, sterben sie“, so Özel.

Im Urlaub begegneten die Bugfoundation-Gründer den essbaren Insekten zum ersten Mal. „Max und ich kennen uns seit über 18 Jahren. Als wir zusammen in Thailand waren, haben wir Insekten probiert“, sagt Baris Özel. Max Krämer schrieb dann seine Bachelorarbeit über das Thema – Insekten als Nahrungsmittel der Zukunft. „Da waren wir dann an einem Punkt, wo wir den Geschmack der Insekten aus Asien nach Deutschland holen wollten“, so Özel. Vor dem Markteintritt in Belgien wurde viel geforscht und getüftelt.

Nun steht die Heimat im Fokus. Seit Ende April gibt es in einem Rewe Markt in Aachen „Deutschlands ersten Insektenburger“, wie die Gründer auf ihrer Homepage schreiben. Ab Juni sollen die Patties dann auch bundesweit erhältlich sein.

Startups wollen umweltbewusste Kunden ansprechen

Die Insekten-Startups zielen auf den umweltbewussten Kunden. Viele suchen das Gleichgewicht zwischen Verantwortung für die Gesundheit, Tierliebe und Hunger auf Fleisch. Bereits jetzt isst eine Mehrheit der Deutschen laut einer Forsa-Studie an drei oder mehr Tagen pro Woche kein Fleisch.

Eine Mammutaufgabe für Özel und Krämer wird es allerdings sein, gegen die Berührungsängste der potenziellen Kunden anzukämpfen. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov kann sich bislang nur jeder siebte Bundesbürger vorstellen, Insekten zu essen.

Forscher Marcel Dicke sieht eine konstante Steigung in der Akzeptanz von Insekten als Nahrungsmittel. „Wichtig ist, dass Produkte auf den Markt kommen, die der Konsument lecker findet.“

Der Insektenburger der Bugfoundation könnte dabei ein Anfang sein. Mit ihm wolle man den Fleischkonsum nicht ersetzen, so die Osnabrücker. Sie würden Insekten vielmehr als eine Erweiterung der täglichen Ernährung sehen. Ihre Prognose: In fünf Jahren werde es völlig normal sein, dass Kunden in den Supermärkten Produkte aus Insekten kaufen.

Spätes Revival der Insekten in Europa

Während sich die Europäer also langsam an die Nahrungsquelle Insekten herantasten und ihr Potenzial erkennen, scheint ganz in Vergessenheit geraten zu sein, dass das Insektenessen auf unserem Kontinent bereits sehr bekannte Vorreiter hat: Aristoteles beispielsweise verspeiste Zikaden. Und auch heutzutage gibt es Milbenkäse, bei denen die Enzyme der Minitierchen für den Reifungsprozess sorgen.

Was alle Insekten gemeinsam haben? Sie sind nicht nur reich an wertvollen Vitaminen und Mineralien sowie tierischen Proteinen, sondern auch nachhaltig. Bis zu 80 Prozent ihres Körpers sind essbar, und das Wichtigste: Sie benötigen pro Kilo essbarem Gewicht nur zwei Kilogramm Nahrung.

Zum Vergleich: Bei Rindern sind es acht Kilo. Im Vergleich zur deshalb stark kritisierten Rinderzucht werden bei Insekten vergleichsweise wenig Ackerfläche für Futter und Wasser benötigt. Außerdem lassen sie sich theoretisch auch im großen Maßstab gut züchten.

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