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Ukrainisches Atomkraftwerk unter Beschuss: „Schwerwiegender Vorfall“ besorgt IAEA

Das Kernkraftwerk im ukrainischen Enerhodar ist abermals das Ziel von Drohnen-Angriffen geworden. Wären Russland die Ukraine beschuldigt, weist diese die Verantwortung zurück.

Das Kernkraftwerk Saporischschja im ukrainischen Energodar.
© imago images / ITAR-TASS

Die Strahlungsschäden von Tschernobyl und Fukushima

Das sind Strahlungsschäden der Atomkraftwerk-Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima.

Rund 38 Jahre ist es nun her, dass am 26. April 1986 der Reaktorblock 4 des Wladimir-Iljitsch-Lenin-Kernkraftwerks der ukrainischen Stadt Prypjat explodierte. Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl ging als folgenschwerster Unfall der Kernenergie in die Geschichte ein. Seit dem 24. Februar 2022 befindet sich das Kraftwerkgelände unter russischer Kontrolle. Doch ist es nicht das einzige Atomkraftwerk, das Russland seit Beginn des Ukraine-Kriegs in seine Gewalt gebracht hat.

Ukraine-Krieg: IAEA-Chef reagiert auf „absolutes Tabu“

Zum ersten Mal seit November 2022 habe es am 7. April „mindestens 3 direkte Treffer gegen die Strukturen des Reaktorsicherheitsbehälters“ des Kernkraftwerks Saporischschja gegeben, berichtete Rafael Grossi, Generaldirektor der International Atomic Energy Agency (IAEA), via X. Er stützte sich dabei auf Informationen der IAEA Support and Assistance Mission to Zaporizhzhya (ISAMZ). „Das darf nicht passieren.“

„Wie ich bereits vor dem UN-Sicherheitsrat und dem Gouverneursrat der IAEA gesagt habe, kann niemand einen militärischen oder politischen Vorteil aus Angriffen auf Nuklearanlagen ziehen“, so Grossi. „Dies ist ein absolutes Tabu.“ Der argentinische Diplomat appellierte nachdrücklich an die am Ukraine-Krieg beteiligten Regierungen, „sich jeglicher Aktion zu enthalten, die gegen die Grundprinzipien zum Schutz von Atomanlagen verstößt“.

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Saporischschja stetig umkämpft

Schon kurz nach Beginn ihrer Invasion besetzten russische Truppen das Kernkraftwerk Saporischschja. Die damit einhergehenden Angriffe hatten am 2. März 2022 zunächst zur Abschaltung der Reaktorblöcke 2 und 3 geführt. Wenngleich keine essentiellen Anlagen beschädigt wurden und keine Radioaktivität austrat, kam es im Rahmen der Besetzung zu kleineren Brände und Schäden. Die Betriebskapazität wurde vorübergehend durch erhöhte Leistung eines benachbarten Wärmekraftwerks ersetzt, während die Sicherheits- und Betriebsprozesse unter der Kontrolle eines russischen Militärkommandanten standen – aus Sicht der IAEA galt dies bereits als eine Beeinträchtigung der Betriebssicherheit.

In den folgenden Monaten nutzten russische Truppen das Gelände des Kernkraftwerks strategisch für militärische Operationen. Angriffe und Gegenangriffe auf das Gelände, darunter Beschuss und Drohnenangriffe, führten zu weiteren Beschädigungen und Ausfällen der Stromversorgung, wodurch die Anlage zwischenzeitig mehrmals auf Notstrom umschalten musste. Trotz wiederholter Forderungen der IAEA nach einem sicheren Betrieb und Zugang zur Anlage blieb die Situation angespannt, mit erheblichen Risiken für die Betriebssicherheit und die regionale Sicherheit.

Die Lage eskalierte durch die militärische Nutzung des Geländes weiter. Die absichtliche Beschädigung von Stromleitungen im August 2022 und der Versuch, das Kraftwerk vom ukrainischen Stromnetz zu trennen und mit dem russischen Netz zu verbinden riefen abermals die IAEA auf den Plan. Darüber berichtete damals mitunter The Guardian. Es kam zu weiteren schwerwiegenden Vorfällen, einschließlich der temporären Festnahme des Werksleiters durch russische Behörden und der Beschädigung von Infrastruktur durch Beschuss. Seitdem hat sich die Situation kaum entspannt – die Angriffe auf das ZNPP (Zaporizhzhia Nuclear Power Plant) hatten jedoch abgenommen.

Neue Nuklearkatastrophe voraus?

Angriffe auf ein Kernkraftwerk wie das ZNPP bergen durchaus das Risiko einer Nuklearkatastrophe, hauptsächlich durch zwei potenzielle Mechanismen: Erstens könnte eine direkte Beschädigung der Reaktorbehälter oder der Schutzhüllen durch physische Angriffe oder Sabotage die Integrität der Systeme kompromittieren, die entwickelt wurden, um radioaktive Materialien sicher zu enthalten. In einem solchen Szenario könnte die Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt erfolgen, was schwerwiegende gesundheitliche und ökologische Folgen nach sich ziehen würde. Solche Behälter sind zwar robust konstruiert, um externen Einflüssen standzuhalten, doch direkte oder nahe Explosionen könnten ihre Struktur überfordern.

Zweitens könnte die Unterbrechung oder Zerstörung der kritischen Kühlungssysteme des Kraftwerks zu einem Überhitzungsereignis führen. Kernreaktoren benötigen eine kontinuierliche Kühlung, um die durch die Kernspaltung erzeugte Wärme abzuführen. Eine Unterbrechung, könnte zu einer Kernschmelze führen. Dies würde nicht nur den Reaktor selbst zerstören, sondern auch das Potenzial für eine umfangreiche Freisetzung von Radioaktivität in die Atmosphäre bergen, ähnlich den Katastrophen in Fukushima oder Tschernobyl.

Quelle: X/@rafaelmgrossi; International Atomic Energy Agency; The Guardian

Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Hier kannst du den Betroffenen helfen.

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