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Archäologischer Fund: Mysteriöse Figur könnte uralte Saga belegen

Ein silberner Anhänger aus einem uralten Grab wirft neues Licht auf die Rolle schwangerer Frauen im frühmittelalterlichen Skandinavien. Das Forschungsprojekt „Womb Politics“ widmet sich genau diesem Thema.

Runder Silberanhänger in Form einer weiblichen Gestalt, teilweise von einem Ring umgeben
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5 ärchäologische Funde, die noch heute Rätsel aufgeben

Einige Überbleibsel der Vergangenheit lassen auch nach tausenden von Jahren noch viele Fragen unbeantwortet.Wir zeigen dir 5 archäologische Funde, die auch heute noch eine Menge Rätsel aufgeben.

Forschende der Universitäten Nottingham und Leicester haben eine silberne Figur entdeckt, die eine schwangere Wikingerin in kriegerischer Ausrüstung zeigt. Dieser außergewöhnliche archäologische Fund wurde in einem Grab aus dem 10. Jahrhundert in Schweden entdeckt und stellt das verbreitete Bild passiver Wikingerfrauen infrage. Vielmehr ähnelt es literarischen Überlieferungen, wie etwa der Saga von Freydís Eiríksdóttir, die sich trotz fortgeschrittener Schwangerschaft mit einem Schwert verteidigte.

Archäologische Funde, Sagas und „Gebärmutterpolitik“

Freydís Eiríksdóttir wird in den mittelalterlichen isländischen Schriften als Tochter Eriks des Roten beschrieben und soll an Wikingerexpeditionen nach Nordamerika (Vinland) teilgenommen haben. Ihre Lebenszeit wird ins späte 10. oder frühe 11. Jahrhundert datiert. In den Quellen, besonders der „Grænlendinga saga“ (Saga der Grönländer) und der „Eiríks saga rauða“ (Saga von Erik dem Roten), wird Freydís als eigenwillige und entschlossene Frau dargestellt. Zugleich variieren die Darstellungen stark, weshalb ihr tatsächlicher historischer Beitrag umstritten bleibt. Die Sagas berichten sowohl von mutigen als auch von umstrittenen Handlungen, sodass viele Einzelheiten ihres Lebens historisch nicht sicher belegbar sind.

Der archäologische Fund der Silberfigur erfolgte im Rahmen der Forschungsarbeit „Womb Politics“, der ersten umfassenden Untersuchung zum Thema Schwangerschaft im Skandinavischen Frühmittelalter. Forschende analysierten dafür altnordische Literatur, Grabrituale sowie Bilddarstellungen und zeigten, dass Schwangerschaft in der nordgermanischen Expansionsepoche sozial und politisch stark aufgeladen war. Obwohl Schwangerschaft für die Gesellschaft der Wikinger fundamental war, ist sie in archäologischen und historischen Quellen bislang kaum sichtbar.

„Die Verwendung altnordischer Texte zur Erhellung des wikingerzeitlichen Glaubens ist schwierig, da die erhaltenen Manuskripte weit nach der Wikingerzeit datiert sind, aber es ist dennoch faszinierend, in diesen Quellen Wörter, Konzepte und Erinnerungen an die Schwangerschaft zu finden, die ihre Wurzeln in der früheren Wikingerzeit haben könnten“, erklärte Dr. Katherine Olley, Assistenzprofessorin für Wikingerstudien und Direktorin des Zentrums für das Studium der Wikingerzeit in einer Pressemitteilung der University of Nottingham.

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Bedeutung Schwangerer und Kinder

„Unter den nordischen Wörtern, die für die Bezeichnung einer Schwangerschaft verwendet werden, finden wir reichhaltige Ausdrücke wie ‚bauchvoll‘, ‚unbeleuchtet‘ und ‚eine Frau nicht allein gehen lassen‘, die einen Einblick in die Art und Weise geben, wie die Menschen sich eine Schwangerschaft vorgestellt haben könnten“, so Dr. Olley weiter.

Sie konnte zudem eine politische Bedeutung besitzen, wie besonders eindrücklich eine Szene aus der Laxdœla saga (Saga von den Leuten aus dem Laxárdal) illustriert: Guðrún Ósvífrsdóttir begegnet darin einem Mörder ihres Mannes. Helgi Harðbeinsson wischt demonstrativ Blut von seinem Speer an Guðrúns Kleid ab, genau dort, wo sie ihr ungeborenes Kind trägt. Er erklärt dabei symbolisch, dass er in Guðrúns Leib seinen zukünftigen Mörder sieht. Tatsächlich wird Guðrúns Sohn später geboren und wächst heran, um den Tod seines Vaters zu rächen. Schwangerschaft und das ungeborene Kind waren in der Zeit der Wikingerinnen und Wikinger also bereits stark mit sozialen Erwartungen, Konflikten und Verpflichtungen verknüpft.

Archäologische Funde und die Untersuchung von Bestattungen macht die Bewertung schwangerer Körper bei den Wikingern jedoch komplizierter. Obwohl Todesfälle bei Geburten vermutlich häufig waren, wurden nur wenige gemeinsame Bestattungen von Müttern und Neugeborenen entdeckt. In manchen Fällen lagen Säuglinge bei Männern oder älteren Personen im Grab, was auf komplexe Verwandtschaftsverhältnisse oder symbolische Verbindungen hindeutet, statt auf eine einfache Mutter-Kind-Beziehung.

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„Unbeständigkeit, Risiko und Ausbeutung“

Die Silberfigur aus Aska ist bislang die einzige bekannte Wikingerinnenfigur, bei der eine Schwangerschaft eindeutig dargestellt ist. Neben ihrer Funktion als Fruchtbarkeitssymbol weist ihre martialische Darstellung darauf hin, dass schwangere Frauen in der dieser Zeit möglicherweise aktivere gesellschaftliche Rollen einnehmen konnten. Das widerspricht bisherigen Annahmen, nach denen solche Darstellungen rein symbolisch oder passiv interpretiert wurden.

„Zusammen mit gesetzlichen Bestimmungen wie der, dass eine Schwangerschaft als ‚Defekt‘ einer versklavten Frau angesehen wird, die gekauft werden soll, oder dass Kinder, die von untergeordneten Völkern geboren werden, das Eigentum ihrer Besitzer sind, ist dies eine deutliche Erinnerung daran, dass eine Schwangerschaft auch den Körper für Unbeständigkeit, Risiko und Ausbeutung öffnen kann“, betonte Dr. Marianne Hem Eriksen, außerordentliche Professorin für Archäologie an der University of Leicester.

Das „Womb Politics“-Projekt verdeutlicht insgesamt, dass Wikinger*innen differenzierte Vorstellungen von Schwangerschaft hatten und diese mit politischen, sozialen und sogar militärischen Aspekten verbanden. Diese neuen Erkenntnisse verändern bisherige Annahmen über Geschlechterrollen und machen deutlich, wie wichtig bislang vernachlässigte archäologische Funde und historische Quellen für ein vollständiges Bild der dieser Zeit sind.

Quellen: „Womb Politics: The Pregnant Body and Archaeologies of Absence“ (Cambridge Archaeological Journal, 2025); University of Nottingham

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