Ein internationales Forschungsteam hat bei hochpräzisen Messungen an Calcium-Isotopen Abweichungen entdeckt, die möglicherweise auf eine bislang unbekannte Naturkraft hindeuten. Diese Ergebnisse könnten unser Verständnis der fundamentalen Kräfte der Physik grundlegend erweitern – oder auf Lücken im bisherigen Standardmodell der Teilchenphysik hinweisen.
Physik-Durchbruch mittels King-Plots
Im Zentrum der Studie steht eine ausgeklügelte Analysemethode namens King-Plot-Analyse. Dabei werden sogenannte Isotopenverschiebungen untersucht – minimale Unterschiede in den Frequenzen, mit denen Elektronen zwischen Energieniveaus in Atomen springen, abhängig davon, welches Isotop (also welche Masse) das Atom hat.
Nach den Vorhersagen des etablierten Standardmodells der Teilchenphysik sollten sich diese Verschiebungen bei einem Vergleich mehrerer Isotope in einer geraden Linie darstellen lassen, wenn man zwei verschiedene Übergänge betrachtet. Diese Linearität ist ein Prüfstein für die Gültigkeit des Modells.
Das Team um Dr. Alexander Wilzewski vom Institut für Experimentelle Quantenmetrologie (QUEST) an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig führte extrem präzise Messungen an einfach (Ca+) und vierzehnfach geladenen Calcium-Ionen (Ca14+) durch. Mithilfe modernster Verfahren – darunter die Quantenlogikspektroskopie – erreichten sie eine Genauigkeit im Sub-Hertz-Bereich. Das bedeutet: Sie konnten Frequenzunterschiede kleiner als ein Hertz messen.
Das Ergebnis: Eine signifikante Abweichung von der erwarteten Linearität, mit einer statistischen Signifikanz von über 1.000 Standardabweichungen. Eine solch hohe Signifikanz macht Zufall oder Messfehler als Ursache praktisch unmöglich.
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Neue Physik – oder Lücke im alten Modell?
Eine denkbare Ursache für diese Abweichung wäre die Existenz eines bisher unbekannten Bosons – eines Teilchens, das eine neue, fünfte Kraft zwischen Elektronen und Neutronen vermittelt. Eine solche Kraft würde die vier bekannten Grundkräfte ergänzen und das Tor zu einer „neuen Physik“ öffnen.
Die vier Grundkräfte der Physik sind:
- Gravitation, die alle Massen anzieht und für die Bewegung von Planeten sorgt
- Elektromagnetische Kraft, die zwischen geladenen Teilchen wirkt und z. B. Licht und Elektrizität erklärt
- Starke Kernkraft, die Protonen und Neutronen im Atomkern zusammenhält
- Schwache Kernkraft, die bei radioaktivem Zerfall eine Rolle spielt
Jede dieser Kräfte wirkt auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlicher Stärke, prägt aber gemeinsam das Verhalten aller Materie im Universum.
Doch es gibt auch konventionelle Erklärungen abseits der spekulierten fünften Kraft: Effekte wie die Massenschiebung zweiter Ordnung oder die Kernpolarisierung – beide innerhalb des Standardmodells bekannt, aber schwierig zu berechnen – können ebenfalls zu Nichtlinearitäten führen. Auch nach Einbeziehung dieser Effekte blieb allerdings ein Rest der beobachteten Abweichung bestehen.
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Strengste Schranken für neue Kräfte
Um herauszufinden, ob ein neues Boson tatsächlich für die Nichtlinearität verantwortlich sein könnte, erweiterten die Forschenden ihre Analyse mit einem sogenannten Generalized King Plot (GKP). Dabei bezogen sie einen dritten atomaren Übergang in Ca+ ein. Diese Methode erlaubt es, verschiedene Quellen der Nichtlinearität besser voneinander zu trennen.
Das Ergebnis: Die bislang strengsten Grenzen für die Stärke einer möglichen Kopplung eines hypothetischen skalaren Bosons an Elektronen und Neutronen – über einen großen Bereich möglicher Massen hinweg (von 10 Elektronenvolt bis 107 Elektronenvolt pro c2).
Ermöglicht wurde diese Entdeckung durch Methoden, wie sie auch in den präzisesten Atomuhren oder in der Quanteninformationsverarbeitung zum Einsatz kommen. Die Ionen wurden auf nahezu den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt, und mithilfe der Quantenlogikspektroskopie konnte das Team Eigenschaften mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen.
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Fünfte Kraft ist nicht bewiesen
Noch ist die Existenz einer neuen Kraft nicht bewiesen. Aber die Messungen zeigen eindeutig, dass entweder neue physikalische Phänomene existieren – oder dass unser bestehendes Modell an seine Grenzen stößt und weiterentwickelt werden muss.
Das Forschungsteam plant, die theoretischen Modelle insbesondere zur Kernpolarisierung weiter zu verbessern und zusätzliche atomare Übergänge mit vergleichbarer Präzision zu untersuchen. Bestätigen sich die aktuellen Ergebnisse, könnte das ein historischer Schritt hin zu einer erweiterten Beschreibung der Naturgesetze sein – und unser Bild vom Aufbau der Materie und des Universums grundlegend verändern.
Quelle: „Nonlinear Calcium King Plot Constrains New Bosons and Nuclear Properties“ (Physical Review Letters, 2025)