Lichtgeschwindigkeit ist mehr als nur ein physikalisches Konzept. Sie ist das Maß, mit dem sich unser Verständnis von Raum und Zeit definiert, und der entscheidende Faktor dafür, wie weit der Mensch jemals ins All vordringen kann. Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass ein Weg dorthin existiert – technisch extrem anspruchsvoll, aber nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Der Schlüssel: Energie. Genauer gesagt: Antimaterie.
Darum ist Lichtgeschwindigkeit entscheidend
Wer über Raumfahrt nachdenkt, stößt früher oder später auf ein Problem: Entfernungen. Der Mars liegt vergleichsweise nah – je nach Umlaufbahn rund 60 Millionen Kilometer entfernt von der Erde. Trotzdem dauert eine Reise mit heutiger Raketentechnik sieben bis neun Monate. Alpha Centauri, das nächste Sternensystem, ist 4,3 Lichtjahre entfernt. Mit aktuellen Raumsonden würde die Reise dorthin über 70.000 Jahre dauern.
Selbst ein Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit würde alles verändern. Bei zehn Prozent bräuchte ein Raumschiff für Alpha Centauri etwa 43 Jahre – eine Distanz, die innerhalb eines Menschenlebens erreichbar wäre. Ab 50 Prozent wären es nur noch knapp neun Jahre. Und bei 90 Prozent schrumpft die Reisedauer auf wenige Jahre.
Physik setzt klare Grenzen: Nach Einsteins Relativitätstheorie ist die Lichtgeschwindigkeit für Objekte mit Masse grundsätzlich unerreichbar – der Energieaufwand steigt mit zunehmender Geschwindigkeit exponentiell an.
Dennoch erlaubt die Physik Annäherungen: Geschwindigkeiten zwischen zehn und 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit sind theoretisch möglich, konnten technisch bisher jedoch nicht umgesetzt werden.
Auch interessant: Leben wir in einer Simulation? Dieses Naturgesetz soll die Antwort liefern, so Studie
Antimaterie – ein Kandidat mit enormem Potenzial
Wenn Materie und Antimaterie aufeinandertreffen, vernichten sie sich gegenseitig – und setzen dabei reine Energie frei. Diese Reaktion ist vollständig: 100 Prozent der Masse werden in Energie umgewandelt. „Ein Kilogramm Antimaterie liefert bei der Reaktion mit Materie rund 9 × 1016 Joule“, verdeutlichten Sawsan Omira und Abdel Hamid Mourad in einer Übersichtsarbeit, die sie Anfang 2025 im International Journal of Thermofluids veröffentlichten.
Das entspricht über zwei Milliarden Mal der Energiemenge, die bei der Verbrennung von einem Kilogramm Raketentreibstoff entsteht. Kein anderer bekannter Stoff hat eine vergleichbare Energiedichte.
Auch interessant: Lichtgeschwindigkeit reduziert: Revolutionäres Experiment erschüttert Physik
Beamed-Core-Antrieb als mögliche Option
Ein möglicher Ansatz ist der sogenannte Beamed-Core-Antrieb. Hierbei entsteht der Schub durch die gezielte Auslenkung geladener Teilchen, die bei der Reaktion von Antiprotonen mit Protonen entstehen. Diese Teilchen – meist sogenannte Pionen – werden mithilfe eines starken Magnetfeldes in eine Richtung gelenkt. Dadurch entsteht ein Rückstoß, der das Raumschiff antreibt – ähnlich wie bei heutigen Raketentriebwerken, nur mit deutlich höherem Wirkungsgrad.
Simulationen zeigen, dass ein solcher Antrieb theoretisch eine Ausströmgeschwindigkeit von bis zu 69 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreichen könnte. Diese Leistung sei mit heutigen Magnetfeldstärken grundsätzlich realisierbar, konstatierten Ronan Keane (damals Schüler) und der Physikdozent Wei-Ming Zhang bereits in einem 2012 veröffentlichten Grundsatzpapier. „Insgesamt könnte die […] optimale Magnetfeldkonfiguration heute hergestellt werden.“
Das bedeutet, dass ihre optimierte Geometrie mit einem Feldmaximum von etwa 12 Tesla nicht auf zukünftige Technologie angewiesen ist, sondern bereits mit heutig verfügbaren Magnetspulen (z. B. supraleitende Spulen wie in der Fusionsforschung oder der Hochenergiephysik) erzeugt werden könnte. Zum Vergleich: Ein früheres Konzept des NASA-Forschers John Callas aus den 1980ern sah 138 Tesla vor – eine damals wie heute unrealistische Größenordnung.
Auch interessant: Urknall-Theorie widerlegt? Physiker präsentiert bizarre Alternative
Erste Schritte zwischen Theorie und Praxis
Noch ist Antimaterie keine Raumfahrtrealität – aber sie ist längst mehr als Theorie. Am Europäischen Kernforschungszentrum CERN wird bereits Antimaterie erzeugt und über Stunden hinweg gespeichert.
Im Rahmen einer 2023 veröffentlichten Studie gelang ein weiterer Durchbruch: Das ALPHA-g-Experiment lieferte erstmals einen Nachweis dafür, dass Antimaterie im Schwerefeld der Erde fällt, also auf Gravitation reagiert – genau wie normale Materie; ein scheinbar kleines Detail, das für reale Anwendungen jedoch entscheidend ist. Denn: Nur wenn sich Antimaterie berechenbar verhält, kann sie auch in einem Antriebssystem zuverlässig genutzt werden.
Auch bei der Lagerung gibt es Fortschritte. In sogenannten Penning-Fallen gelingt es, Antimaterie für längere Zeit stabil zu halten. Erst im Mai 2025 transportierten Forschende eine solche Teilchenfalle sogar per Lastkraftwagen über das CERN-Gelände, ohne dass Teilchen verloren gingen. Die Erkenntnisse aus diesem Versuch hielten sie in einem Artikel für das Fachjournal Nature fest.
Eine Penning-Falle arbeitet mit einer ausgeklügelten Kombination aus elektrischem und magnetischem Feld, um geladene Teilchen wie Antimaterie räumlich zu stabilisieren. Das Magnetfeld zwingt die Teilchen auf eine spiralige Bahn und verhindert ihre Ausbreitung in der Querebene, während das elektrische Feld entlang der Längsachse eine Art „Potenzialmulde“ erzeugt, in der die Teilchen gefangen bleiben. So gelingt es, selbst flüchtige Teilchen über längere Zeit präzise zu kontrollieren und für Experimente zugänglich zu machen.
Auch interessant: Schneller als Lichtgeschwindigkeit: Warp-Antrieb näher als gedacht
Hürden schrumpfen
Die größte Hürde ist aktuell die Produktion. Antimaterie entsteht in Teilchenbeschleunigern, bislang jedoch nur in winzigen Mengen. Ein Milligramm würde – nach heutigem Stand – Billionen Euro kosten. Nichtsdestotrotz halten viele Fachleute die Weiterentwicklung für realistisch. Technik, die heute unbezahlbar erscheint, kann in wenigen Jahrzehnten zum Standard werden – siehe Computertechnik oder Solarenergie.
Die enorme Energiedichte von Antimaterie rechtfertige langfristige Forschung, betonte der US-amerikanische Physiker und Raumfahrttechnologe Gerald Jackson bereits 2009. Sie übertreffe alles, was uns sonst zur Verfügung stehe.
Das bedeutet: Die Lichtgeschwindigkeit bleibt eine Grenze. Aber der Abstand zu ihr schrumpft. Physikalisch ist sie nicht erreichbar – technisch aber näher als je zuvor. Was heute noch nach ferner Zukunft klingt, ist zunehmend ein konkretes Entwicklungsziel. Die nötige Physik ist verstanden. Jetzt geht es darum, Material, Energie und Systeme zu entwickeln, die damit umgehen können.
Ein Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit genügt, um unser Bild vom Universum zu verändern. Reisen, die früher Generationen dauerten, könnten in Jahrzehnten möglich sein. Interstellare Raumfahrt wäre kein Traum mehr – sondern eine Frage der Zeit.
Quellen: „Future of antimatter production, storage, control, and annihilation applications in propulsion technologies“ (International Journal of Thermofluids, 2025); „Beamed Core Antimatter Propulsion: Engine Design and Optimization“ (arXiv, 2012); „Observation of the effect of gravity on the motion of antimatter“ (Nature, 2023); „Proton transport from the antimatter factory of CERN“ (Nature, 2025); „Antimatter as an Energy Source“ (AIP Conference Proceedings, 2009)
Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Hier kannst du den Betroffenen helfen.