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Aus der Tiefe der Erde: Forscher stoßen auf eigenartige Spuren

Etwas dringt aus dem Inneren der Erde – überraschenderweise. Neue Studien legen nahe: Der Erdkern ist womöglich durchlässiger als bisher angenommen.

Einblick ins Erdinnere
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Was würde passieren, wenn die Erde aufhört, sich zu drehen?

So verändert sich die Erde, wenn sie sich aufhören würde zu drehen.

Lange galt der Erdkern als abgeschottet und unerreichbar – sowohl für Menschen als auch für die Wissenschaft. Doch neue Studien der Universität Göttingen, veröffentlicht in Nature, deuten darauf hin, dass der innere Erdkern durchlässiger ist als bisher gedacht – und offenbar „leckt“. Im Zentrum der Entdeckung: das seltene Edelmetall Ruthenium. In hawaiianischem Vulkangestein stießen Forschende auf eine besondere Form davon – das Isotop 100Ruthenium (100Ru).

Die Signatur des Erdkerns

Die Forschenden untersuchten das Isotop sehr gezielt. Der Umstand, dass es im Erdkern in höherer Konzentration vorkommt als im Erdmantel, ergab sich während der Entstehung der Erde vor über 4,5 Milliarden Jahren, als sich schwere Metalle wie Ruthenium und Gold tief im Inneren absetzten. Seitdem galten Mantel und Kern als weitgehend getrennt.

Doch mit ultrapräzisen Messmethoden entdeckte das Team nun eine ungewöhnlich hohe Konzentration von 100Ru in hawaiianischen Basalten. Diese Abweichung lässt sich nur durch das Einsickern von Material aus dem Erdkern erklären.

Die Ergebnisse der Ende Mai veröffentlichten Studie legen nahe, dass sogenannte Mantelplumes – also aufsteigende Ströme extrem heißen Gesteins – Material vom Erdkern bis zur Erdoberfläche transportieren können. Die Basalte der ozeanischen Inseln (Ocean Island Basalts, OIB) aus Hawaii und Kauai enthalten geochemische Signaturen, die direkt auf diese tiefreichende Verbindung hinweisen.

Neben Ruthenium zeigen die Gesteine auch ungewöhnliche Isotopenverhältnisse von Wolfram – genauer gesagt sogenannte unradiogene μ182W-Werte (Abweichungen in Millionstel vom Standardverhältnis des Isotops 182Wolfram zu 184Wolfram). Diese Kombination ist ein starker Hinweis auf den Beitrag von Kernmaterial.

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Zwei mögliche Wege

Die Studie stellt die bisherige Annahme infrage, dass der Erdkern geochemisch komplett abgeschottet sei. Zwei Modelle könnten das Leck erklären:

  1. Einfaches Mitreißen von Kernmaterial: Heiße Mantelplumes ziehen winzige Mengen metallischen Kerns nach oben.
  2. Ausscheidung von Metalloxiden: Mineralien kristallisieren an der Kern-Mantel-Grenze und gelangen in den Erdmantel.

Beide Prozesse erfordern nur minimale Mengen – weniger als 0,3 Prozent –, hinterlassen aber messbare Spuren an der Oberfläche. Hinweise auf ähnliche Prozesse finden sich auch in uralten Gesteinen aus Grönland, was darauf hindeutet, dass diese „Lecks“ keine neue Erscheinung sind.

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„Buchstäblich auf Gold gestoßen“

Die Forschung hat auch praktische Bedeutung: Über 99,999 Prozent des weltweiten Vorkommens an Gold und Platin-Gruppen-Elementen sind im Erdkern eingeschlossen – unter mehr als 3.000 Kilometern Gestein. Zwar ist dieser Schatz unerreichbar, doch könnte ein kleiner Teil durch vulkanische Aktivität an die Oberfläche gelangen.

„Als die ersten Ergebnisse eintrafen, wurde uns klar, dass wir buchstäblich auf Gold gestoßen sind“, betonte Dr. Nils Messling, von der Abteilung Geochemie und Isotopengeologie der Universität Göttingen in einer Pressemitteilung. „Unsere Daten bestätigten, dass Material aus dem Erdkern, darunter Gold und andere Edelmetalle, in den darüberliegenden Erdmantel sickert.“

Prof. Dr. Matthias Willbold aus derselben Abteilung ergänzte: „Unsere Ergebnisse zeigen nicht nur, dass der Erdkern nicht so isoliert ist, wie bisher angenommen. Wir können nun auch nachweisen, dass riesige Mengen sehr heißen Mantelmaterials – mehrere hundert Billiarden Tonnen an Gestein – von der Kern-Mantel-Grenze bis an die Erdoberfläche aufsteigen, wodurch Ozeaninseln wie zum Beispiel Hawaii entstehen.“

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Einordnung in die laufende Spurensuche

Die jüngsten Ruthenium-Befunde aus Hawaii passen in ein größeres Puzzle von Isotopenspuren – von 3Helium (He)/4He-Anomalien bis zu 182W-Variationen –, die seit Jahren darauf hindeuten, dass Kern und Mantel doch stärker im Austausch stehen, als lange vermutet. Dieses Bild eröffnet nicht nur neue Einblicke in die chemische Evolution unseres Planeten, sondern wirft auch Fragen zur Wärmebilanz des Erdkerns, zur Stabilität des Geodynamos und zu künftigen Forschungstechniken auf.

Schon vor den neuen Ru-Messungen zeigten Analysen hawaiianischer und samoanischer Basalte leichte Defizite im 182W/184W-Verhältnis – bis zu 18 ppm geringer als im Durchschnittsmantel – was bereits als möglicher Fingerabdruck von Kernmaterial galt. Parallel dazu weisen Plumes mit besonders hohen 3He/4He-Quotienten – ein klassischer Marker für sehr tiefe oder sogar primordial erhaltene Reservoirs – auf eine ähnliche Tiefenverbindung hin.

Dass sich nun auch 100Ru-Anomalien exakt in denselben Gesteinen finden, verknüpft zwei zuvor unabhängige Indizienstränge und stärkt das Szenario einer punktuellen Kern-Mantel-Durchlässigkeit deutlich. Gleichwohl bleibt die Deutung umstritten: Neuere Modellrechnungen zeigen, dass Korn-Grenz-Diffusion von W-Isotopen zu langsam ist, um alle Beobachtungen zu erklären, und rücken daher erneut das Mitreißen von Metalltropfen im Plume-Strom ins Zentrum der Debatte .

Quellen: „Ru and W isotope systematics in ocean island basalts reveals core leakage“ (Nature, 2025); Universität Göttingen

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