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Merz plant Sozialreform – mit Folgen für über 30 Millionen Menschen

Hohe Sozialbeiträge belasten Beschäftigte und Unternehmen spürbar. Kanzler Merz will mit einer umfassenden Reform gegensteuern und das System neu ordnen.

Friedrich Merz im Sommerinterview der ARD.
© IMAGO/Bernd Elmenthaler / futurezone.de [M]

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Die Sozialbeiträge in Deutschland sind so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr – rund 42  Prozent des Bruttolohns gehen aktuell an die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Für viele bleibt vom Gehalt immer weniger übrig. Jetzt will Bundeskanzler Friedrich Merz gegensteuern. Er hat tiefgreifende Reformen angekündigt, die nicht nur Entlastung bringen, sondern auch das Verhältnis zwischen Staat und Beitragszahlenden grundlegend verändern könnten.

Sozialbeiträge: Darum sind sie heute so hoch

Auf den ersten Blick wirkt das System der Sozialbeiträge klar: Wer einzahlt, bekommt im Ernstfall Leistungen. Doch in der Realität fließt ein großer Teil des Geldes in Aufgaben, die eigentlich gar nicht in die Sozialversicherung gehören – sogenannte versicherungsfremde Leistungen. Das sind etwa Rentenzahlungen für Menschen, die nur kurz oder nie in Deutschland gearbeitet haben, oder die Finanzierung der Gesundheitskosten für Bürgergeld-Empfangende.

Die Deutsche Rentenversicherung zahlte 2023 laut dem Geschäftsbericht des Folgejahres rund 124 Milliarden Euro für solche Leistungen. Der Staat erstattete davon nur 84 Milliarden Euro – es fehlten also 40 Milliarden. Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung klafft eine Lücke: Für die medizinische Versorgung von Bürgergeld-Empfangenden fehlen jährlich über neun Milliarden Euro an Steuerzuschüssen. Das geht aus einer 2024 veröffentlichten Analyse des IGES Instituts im Auftrag der DAK-Gesundheit hervor.

Diese Summen landen stattdessen bei denen, die Beiträge zahlen – also bei Arbeitnehmer*innen und Arbeitgebern. Das treibt die Sozialbeiträge nach oben, ohne dass die Versicherten dafür mehr Leistung erhalten. TK-Chef Jens Baas warnte erst diese Woche via LinkedIn vor einem Beitragssatz von bis zu 18,3 Prozent in der Krankenversicherung bis 2027 – wenn sich strukturell nichts ändere.

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Merz will Verantwortung neu verteilen

Mit seinem Reformversprechen will Friedrich Merz genau hier ansetzen. „Wir wissen, dass wir Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung reformieren müssen“, betonte er im ARD-Sommerinterview. Leistungen, die dem Allgemeinwohl dienen, sollen künftig auch aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden – und nicht mehr allein über Beiträge. Das könnte die Sozialbeiträge spürbar senken.

Konkret im Gespräch ist zum Beispiel, dass der Bund künftig die vollen Kosten für die Gesundheitsversorgung von Bürgergeld-Empfangenden übernimmt. Auch Rentenleistungen wie die Mütterrente oder die Frührente ohne Abschläge könnten in Zukunft steuerfinanziert werden. Für Merz ist das auch eine Frage der Fairness: Warum sollten gesetzlich Versicherte für Leistungen zahlen, die privat Versicherte nicht betreffen – aber auch nicht mitfinanzieren?

Ob das alles politisch durchsetzbar ist, bleibt abzuwarten. Gerade in der Koalition dürfte es Diskussionen geben. Die SPD etwa setzt auf einen Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und könnte gegen Kürzungen oder Umverteilungen aufbegehren. Klar ist: Ohne Kompromisse wird es keine große Reform geben.

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Staatliches Zögern zeigt sich in der Pflege

Besonders sichtbar werden die Probleme in der sozialen Pflegeversicherung. Während der Corona-Zeit übernahmen die Pflegekassen kurzfristig viele Zusatzkosten – etwa für Tests, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel. Der Staat versprach, das Geld zu erstatten. Bis heute ist das nicht passiert.

„Auch bei der Pflegeversicherung steht, noch aus der Coronazeit, die Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von über 5 Milliarden Euro aus“, erklärte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken vergangene Woche zur ersten Lesung des Bundeshaushalts. Dazu kommen laut einem 2024 veröffentlichten Bericht der Ampel-Regierung jedes Jahr rund 3,7 Milliarden Euro für Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen – eine gesellschaftliche Aufgabe, die aus Beiträgen finanziert wird. Die Bundesländer wiederum sind für die Pflegeinfrastruktur verantwortlich, kommen ihrer Pflicht aber oft nicht nach. Die Folge: höhere Heimkosten für Bewohner*innen.

Das alles sorgt für immer höhere Eigenanteile. Mittlerweile zahlen viele Menschen über 3.000 Euro im Monat fürs Pflegeheim, berichtet der Verband der Ersatzkassen, – und ein Drittel braucht zusätzlich Sozialhilfe, so das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Würden Bund und Länder ihre Aufgaben übernehmen, ließen sich Beiträge und Eigenanteile deutlich senken.

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Viel versprochen – was wird wirklich draus?

Rein rechnerisch ließen sich die Sozialbeiträge deutlich senken, wenn versicherungsfremde Leistungen konsequent aus Steuermitteln bezahlt würden. In der Rentenversicherung allein wäre den Expert*innen der Deutschen Rentenversicherung eine Entlastung von zwei Prozentpunkten möglich. Auch in der Pflege‑ und Krankenversicherung gäbe es Spielraum – vorausgesetzt, die öffentliche Hand übernimmt mehr Verantwortung.

Ob es dazu kommt, ist offen. Klar ist nur: Die aktuelle Belastung überfordert viele und schwächt auch die wirtschaftliche Dynamik. Ein ehrlicher Schnitt bei den Sozialbeiträgen könnte nicht nur Arbeitnehmer*innen entlasten, sondern auch neue Spielräume für Beschäftigung und Wachstum schaffen.

Friedrich Merz hat die Debatte angestoßen. Ob daraus wirklich ein Kurswechsel wird – das hängt von vielen politischen Entscheidungen ab. Aber die Richtung ist gesetzt.

Quellen: Deutsche Rentenversicherung; IGES Institut; LinkedIn/Dr. Jens Baas; „ARD-Sommerinterview: Friedrich Merz“; Bundesministerium für Gesundheit; Die Bundesregierung; Verband der Ersatzkassen; Wissenschaftliche Institut der AOK

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