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Xinjiang Police Files: Hacker enttarnt Chinas Genozid an den Uiguren

Foltermethoden, Schießbefehle und vieles mehr decken die Xinjiang Police Files auf. „Es ist wie ein Fenster in einen Polizeistaat.“

Ein Umerziehungslager in der Region Xinjiang
Die Xinjiang Police Files ermöglichen einen Blick hinter diese Mauern. © Getty Images/GREG BAKER/AFP

Umerziehungslager auf Freiwilligenbasis – seit Jahren schon versucht Chinas Regierung, diese Fassade aufrecht zu erhalten. Schon häufiger drangen aber Berichte aus den Einrichtungen im nordwestlichen Xinjiang nach außen. Direkt oder indirekt Betroffene, Journalistinnen und Journalisten trugen die Informationen an die Öffentlichkeit. Ein solch umfangreiches Leak wie die Xinjiang Police Files hat es in dem Kontext bislang aber noch nicht gegeben.

Was verraten die Xinjiang Police Files?

Insgesamt gelangte mitunter der deutsche Anthropologe Adrian Zenz an mehr als zehn Gigabyte als „vertraulich“ und „intern“ klassifizierte chinesische Regierungsdaten. Sie sollen von einem einzelnen Hacker stammen, der in die Systeme der Sicherheitsbehörden des Landes eingedrungen sein will. Die Quelle wolle Anonym bleiben, habe keinerlei Bedingungen gestellt und keine Bezahlung verlangt.

Die Datensätze enthalten Aufnahmen aus einem Umerziehungslager in Tekes. Sie zeigen Männer und Frauen, vor allem Uiguren, eine muslimische Minderheit in China. Die Menschen sind zum Teil gefesselt, tragen Spuren von Misshandlungen und ihre Bilder zeigen im Rahmen der Xinjiang Police Files erstmals en détail, was bislang nur Berichte vermuten ließen.

„Es ist wie ein Fenster in einen Polizeistaat, über den ja so wenige Informationen rausdringen“, erklärte Zenz dem Spiegel. „So etwas haben wir noch nie gesehen.“ Und nicht nur das Lager in Tekes ist betroffen. Schon seit 2017 laufen die menschenrechtswidrigen Maßnahmen der chinesischen Regierung gegen die Uiguren an unzähligen Orten in Xinjiang – allein im Jahr 2018 waren laut den geleakten Daten rund 22.000 von ihnen interniert.

Neben Bildern enthalten die Dateien einen „umfangreichen Bestand an Reden, […] Dokumenten und Kalkulationstabellen“, heißt es einer Webseite, die die Victims of Communism Memorial Foundation für die Xinjiang Police Files offenlegt. Insgesamt sind es mehr als 2.800 Bilder von Gefangenen, über 300.000 Persönliche Aufzeichnungen, rund 23.000 Häftlingsaufzeichnungen und knapp über zehn Anweisungen der Camp-Polizei.

Echte Informationen über den Genozid an den Uiguren

Über mehrere Wochen hinweg hatte sich ein internationales Rechercheteam der Überprüfung der Informationen angenommen, darunter Beteiligte des Spiegels, des Bayerischen Rundfunks (BR), der BBC, der französischen Zeitung Le Monde und vieler weiterer Medienanstalten. Ihr Fazit: Die Dateien sind echt.

„Es handelt sich um ein systematisches Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir haben hier eine Vielzahl von unterschiedlichen Verbrechen – von der Internierung in Umerziehungslagern bis zur Zwangsarbeit, bis zur Zerstörung von Moscheen, bis zur Einschränkung der Religion. Es geht darum, diese Menschen, diese Völker zu assimilieren, sie zu brechen innerlich, dass sie der Partei gefügig werden, vom Staat besser kontrolliert werden können.“

Adrian Zenz

In Kanada, den USA und den Niederlanden wird das Vorgehen der chinesischen Regierungsbehörden bereits als Genozid, also Völkermord, bezeichnet – nicht als „kostenlose Berufsbildung“, wie es in China selbst heißt. Denn auch Erschießungskommandos schließt die Regierung offensichtlich nicht aus. „Erst töten, dann melden“, zitieren die Files Chen Quanguo, den ehemaligen Sekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Bei Zwischenfällen in den Lagern sollen Sicherheitskräfte „alle Terroristen erschießen, damit kein einziger unserer Polizeibeamten oder Militärpolizisten oder Bürger verletzt oder getötet wird“. Das geht aus einer Geheimrede Chens im Jahr 2017 hervor. Das gelte für jede inhaftierte Person, die „auch nur versuche, ein paar Schritte zu entkommen“, so der Spiegel.

Die Opfer von Chinas Unterdrückungsapparat

Schon vor Jahren tauchten erste Berichte über die in den Xianjang Police Files behandelten Themen auf. Damals spielte diese ein „Mitglied des chinesischen politischen Establishments“ der New York Times zu. Neben diversen Informationen, die nun auch in Bildern und Befehlen wiederzuerkennen sind, ging es damals auch um Zwangssterilisatioen sowie unzählige weitere Methoden, die stark an die Eugenikprogramme der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnern. Auch über sie schreibt Zenz im Rahmen einer 2021 veröffentlichten Arbeit.

Aus den nun veröffentlichten Dateien gehen dem Spiegel zufolge auch die vermeintlichen Straftaten hervor, für die unzählige Uiguren inhaftiert wurden:

  • Ablikim E. soll zusammen mit seiner Mutter Audiodateien über religiöse Steuern, verschleierte Frauen, Männer mit Bärten angehört haben. Wegen Vorbereitung einer terroristischen Handlung erhielt er daher im Dezember 2017 eine Haftstrafe von 20 Jahren.
  • Adiljan T. soll für eine Dauer von zwei Wochen in einem Fitnesscenter trainiert haben. Es lag in Ürümqi, der Hauptstadt des Uigurischen Autonomen Gebietes Xinjiang. „Wegen Vorbereitung einer terroristischen Handlung“, wurde er im Oktober 2017 zu zwölf Jahren Haft verurteilt.
  • Abdughini I. soll im Alter von sieben Jahren von seinem Vater religiösen Schriften unterrichtet worden sein, zwei Jahre später habe ihn ein anderer Mann den Islam gelehrt. Später habe er einen VPN-Dienst genutzt, um die Internetzensur des Landes zu umgehen. Das Urteil: Eine Haftstrafe von fünf Jahren und elf Monaten, zwei Jahre Entzug der politischen Rechte sowie eine Geldstrafe von 2.000 Yuan (ca. 280 Euro) „wegen Anstiftung zu terroristischen Aktivitäten“.

Wie reagiert die deutsche Politik?

Von Völkermord ist aus deutschen Regierungskreisen bislang nichts zu hören. „Die Xinjiang Police Files dokumentieren eine neue Dimension der Brutalität gegenüber den Uiguren“, zitiert der Spiegel aber den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. „Sie zeigen eindeutig, mit was für einem menschenverachtenden Regime wir es in China zu tun haben. Die deutsche Bundesregierung sollte die Xinjiang Police Files als Warnung begreifen und damit beginnen, die eigenen Abhängigkeiten von China zu reduzieren.“

Es sei seit Langem klar, „dass China zwar ein großer Handelspartner ist, es aber sehr relevante Probleme gibt“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, „auch bei der Einhaltung von Menschenrechten“. Das habe man jahrelang ausgeblendet. „Diese Regierung hat den Umgang mit den China-Fragen aber verändert. Wir diversifizieren uns stärker und verringern unsere Abhängigkeiten auch von China. Die Wahrung der Menschenrechte hat ein höheres Gewicht.“

Bis klar ist, wie wirtschaftliche Nachteile auszugleichen sind, scheinen Deutschlands Politikerinnen und Politiker bislang aber noch zurückhaltend. Während die USA bereits einen Importstopp für Produkte aus der Region Xinjiang verhängt haben und durch Ned Price, einen Sprecher des US-Außenministeriums von einer „Kampagne des Völkermords und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sprechen, wolle sich die deutsche Bundesregierung noch Gedanken machen „wie wir als Bundesrepublik mit der zunehmenden Autokratisierung Chinas zukünftig umgehen“, so die FDP-Außenpolitikerin Anikó Merten.

Der Tagesschau zufolge hofft Theresa Bergmann, China-Expertin bei Amnesty International Deutschland, „dass das Momentum jetzt genutzt wird, und dass die Bundesregierung sich da entsprechend positioniert und mit klarer Linie die systematischen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang thematisiert“.

Quelle: Spiegel; Xinjiang Police Files; Victims of Communism Memorial Foundation; „The Xinjiang Papers: An Introduction“ (2021); Tagesschau

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