Der Staat darf Steuern erheben – das ist selbstverständlich. Doch es gibt eine Grenze. Wird eine Abgabe so hoch, dass Eigentum seinen Wert verliert oder eine wirtschaftliche Tätigkeit kaum noch möglich ist, wird sie rechtswidrig. Jurist*innen sprechen in solchen Fällen von der Erdrosselungsgrenze. Sie ist nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt, sondern hat sich durch die Rechtsprechung entwickelt. Ihr Zweck: Menschen davor zu schützen, dass Steuern ihre Existenz gefährden.
Das steckt hinter der Erdrosselungsgrenze für Steuern
Die Erdrosselungsgrenze ist Teil des Rechtsstaatsprinzips, des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Eigentumsschutzes nach Artikel 14 des Grundgesetzes (GG). Sie soll verhindern, dass Steuern in Wirklichkeit eine verdeckte Enteignung darstellen.
Das Hessische Ministerium der Finanzen beschreibt es in Antwort auf eine Anfrage von FragDenStaat so: „Eine Steuer darf den einzelnen Steuerpflichtigen nicht im Übermaß belasten und auch seine Vermögenssituation nicht grundlegend beeinträchtigen. Unzulässig ist danach die Festsetzung eines Hebesatzes, der die Grundsteuer zu einer Erdrosselungssteuer werden lässt.“
Entscheidend ist dabei: Nicht das individuelle Schicksal zählt, sondern ob die Mehrheit der betroffenen Bürger*innen die Steuer noch leisten kann.
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Keine feste Zahl – der konkrete Fall entscheidet
Anders als man vermuten könnte, gibt es keine feste Obergrenze wie „ab 50 Prozent wird es illegal“. Ob die Erdrosselungsgrenze überschritten ist, entscheiden Gerichte immer im Einzelfall. Sie schauen darauf:
- Können die Betroffenen ihr Eigentum noch sinnvoll nutzen oder mit ihrer Arbeit ein angemessenes Einkommen erzielen?
- Ist die Steuerbelastung so hoch, dass eine rechtmäßige wirtschaftliche Betätigung für die meisten Betroffenen faktisch unmöglich wird?
Die Gerichte haben in der Vergangenheit selbst sehr hohe Steuerhebesätze akzeptiert: Grundsteuern von 690 Prozent, 760 Prozent, 810 Prozent oder sogar 995 Prozent galten entsprechend einem Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Koblenz aus dem Jahr 2022 als zulässig, solange die breite Masse der Eigentümer*innen die Zahlungen weiterhin stemmen konnte. Auch Zweitwohnungssteuern bis 20 Prozent der Jahresnettomiete wurden durch ein Urteil des VG München 2023 für rechtmäßig erklärt.
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So weit dürfen Kommunen gehen
Städte und Gemeinden dürfen ihre Hebesätze innerhalb eines weiten Rahmens selbst festlegen – das gehört zu ihrer kommunalen Selbstverwaltung. Gerichte greifen nur ein, wenn eine Steuer:
- so hoch ist, dass Eigentum oder wirtschaftliche Tätigkeit faktisch unmöglich werden,
- willkürlich festgesetzt wird, zum Beispiel nur um Rücklagen zu bilden, ohne echten Finanzbedarf,
- oder nicht mehr der Finanzierung dient, sondern als verkapptes Verbot wirkt.
Ein Beispiel: Das VG Koblenz hat in seinem Urteil von 2022 einen Hebesatz von 610 Prozent bestätigt. Die Steuer sei immer noch tragbar und diente dazu, ein Haushaltsdefizit der Stadt auszugleichen.
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Wann ist eine Steuer wirklich zu viel?
Die Erdrosselungsgrenze ist dann erreicht, wenn eine Steuer so hoch ist, dass die große Mehrheit der Betroffenen unter normalen Umständen nicht mehr zahlen kann. Einzelne Härtefälle reichen nicht aus.
Das zeigt etwa der Fall Bad Schwalbach: Dort stieg die Grundsteuer zwischen 2012 und 2020 von 320 Prozent auf 760 Prozent. Trotzdem sahen weder Gerichte noch das Hessische Ministerium der Finanzen darin eine unzulässige Erdrosselung, weil es keine Belege dafür gab, dass die Steuer für die Allgemeinheit untragbar geworden war.
Immer wieder fordern Initiativen, dass es klare gesetzliche Grenzen für Steuerhebesätze geben sollte. Gerade in Städten mit extrem hohen Hebesätzen wünschen sich Bürger*innen Sicherheit. Doch bislang hat kein Bundesland eine solche Grenze eingeführt. Ob eine Steuer zu hoch ist, entscheiden weiterhin die Gerichte – und das meist zugunsten der Kommunen.
Quellen: Grundgesetz; FragDenStaat; Verfassungsgericht Koblenz (5 K 1000/21.KO); Verwaltungsgericht München (M 10 K 20.2882)
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