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Die dunkle Geschichte des Wahrheitsserums: Zwischen Mythos und Wirklichkeit

Wahrheitsseren gibt es nicht nur in Filmen. Forschende suchen schon seit Jahrhunderten nach Mitteln zur Wahrheitsfindung.

Person hält eine Spritze
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Was ist der Mandela-Effekt?

Kennst du das? Du erinnerst dich an Ereignisse oder Dinge, von denen du felsenfest überzeugt bist, dass sie stimmen? Umso mehr überrascht es dich, wenn die sichere Wahrheit doch keine ist? In der Psychopathologie ist dieses Phänomen als Konfabulation bekannt.

Aus Film und Fernsehen ist das sagenumwobene Wahrheitsserum vielen ein Begriff. Mal dient es den Bösen dazu, an vertrauliche Informationen zu gelangen und Geheimdienste zu kompromittieren, mal wollen die Guten mit seiner Hilfe den Untergang der modernen Welt verhindern. Doch gibt es solche oder zumindest vergleichbare Flüssigkeiten auch in der Realität.

Wahrheitsserum: „In vino veritas“

„In vino veritas“ – das hast du bestimmt schon mal gehört. Es bedeutet soviel wie „Im Wein liegt die Wahrheit“ und geht auf den niederländischen Universalgelehrten Erasmus von Rotterdam zurück. Doch war er längst nicht der erste, der diese Verbindung zog. Vor ihm tat dies schon Alkaios von Lesbos, ein Lyriker, der etwa 630 vor Christus im antiken Griechenland lebte.

Auch der römische Historiker Publius Cornelius Tacitus schrieb Deutschlandfunk Kultur zufolge von der Rolle alkoholischer Getränke bei den Ratssitzungen der Germanen. Sie seien der Ansicht gewesen, dass unter Alkoholeinfluss niemand effektiv lügen könne. Über die Jahrhunderte hinweg traten Redewendungen wie diese in allen möglichen Sprachen und Kulturen auf, darunter babylonisch, chinesisch und russisch.

So ist es nur wenig überraschend, dass die Menschen im Laufe der Zeit nach Möglichkeiten suchten, diese dem Alkohol zugesprochene Wirkung mittels anderer Lösungen weiter zu verstärken. Das Interesse am Wahrheitsserum brachte sie auf eine ganze Reihe unterschiedlicher Mixturen.

N° 1: Scopolamin

Das Tropan-Alkaloid Scopolamin (auch Hyoscin) findet sich vor allem in Nachtschattengewächsen wie Stechapfel, Bilsenkraut, Alraune und Engelstrompeten. Während es in geringer Dosierung eine vornehmlich beruhigende Wirkung entfaltet, kann es bei höheren Dosen zu einem Zustand der Apathie führen – bis hin zur Willenlosigkeit. Aus diesem Grund war es eines der ersten Mittel, die den Titel „Wahrheitsserum“ erhielten.

Bekannt wurde es erstmals 1924 durch den US-amerikanischen Arzt Robert Ernest House. Mit seiner Behauptung, die Chemikalie könne die Überprüfung von Verdächtigungen erleichtern, traf er bei einigen Polizeistellen des Landes auf Anklang. Zwischen den 1920er und ’30 er Jahren setzten es die Beamten bei Verdächtigen ein und in einigen Fällen fällten Richter auf Basis der daraus gewonnenen „Erkenntnisse“ ihre Urteile. Das geht mitunter aus einem Bericht über die legalen Aspekte drogeninduzierter Äußerungen der Universty of Chicago hervor.

N° 2: Thiopental

Bei Thiopental (auch Pentothal) handelt es sich um ein Hypnotikum aus der Reihe der Barbiturate. Diese wiederum wirken dämpfend auf das Nervensystem und werden daher teils in der Anästhesie angewandt. Ihre Wirkung zeigt sich in Form von Schmerzlinderung, Muskelrelaxans und der Verringerung des Blutdrucks. Auch als vermeintliches Wahrheitsserum fand das Mittel bereits Anwendung.

Die Polizei der indischen Hauptstadt Neu-Delhi soll Thiopental im Jahr 2007 bei dem Geschäftsmann Moninder Singh Pandher und seinem Bediensteten Surinder Koli eingesetzt haben. Sie beide galten damals als Verdächtige in den Ermittlungen zu einer Kindermord-Serie in Nordindien. ScienceAlert zufolge gestanden sowohl Pandher als auch Koli.

N° 3: Amobarbital

Während des Zweiten Weltkriegs fand das Barbiturat Amobarbital Anwendung als Anti-Angst-Medikament in der US-Armee. Das Beruhigungsmittel wirkt sich auf die GABAA-Rezeptoren des Nervensystems aus, die den Neurotransmitter γ-Aminobuttersäure binden. Es wirkt dadurch als starkes Sedativum.

Noch heute nutzen Behörden das Mittel in einigen Teilen der Welt als Wahrheitsserum. Selbst in den Vereinigten Staaten nutzte man das Barbiturat lange Zeit zu diesem Zweck, wie mitunter die Forschenden López-Muñoz et al. im Rahmen ihrer 2005 im Fachjournal Neuropsychiatric Disease and Treatment Studie erklärten.

Wirken Wahrheitsseren wirklich?

Alle bekannten Wahrheitsseren kommen mit starken Nebenwirkungen. Diese bewirken unter anderem Verzerrungen der Wahrheit. Sie können dadurch dazu führen, dass eine Person falsche Tatsachen zu erinnern denkt – und somit im Ernstfall zu falschen Verurteilungen führen. „Es gibt heute keinen pharmazeutischen Wirkstoff, dessen nachgewiesene Wirkung die beständige oder vorhersehbare Verbesserung der Wahrheitsfindung ist“, schrieb 2006 David Brown, ein Reporter der Washington Post.

Stattdessen gehen mit der Nutzung vermeintlicher Seren dieser Art erhebliche Risiken für Leib und Seele einher. Wie so oft gilt daher: Glaube nicht alles, was Film und Fernsehen dir erzählen wollen.

Quellen: Deutschlandfunk Kultur; ScienceAlert; The University of Chicago Law Review; „The history of barbiturates a century after their clinical introduction“ (Neuropsychiatric Disease and Treatment, 2005); Washington Post

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