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Klimawandel: Forscher entlarven frühe Vorhersagen als Mythos

Der Klimawandel könnte weit unberechenbarer sein als bislang angenommen. Das bedeutet, dass kritische Kipppunkte die Menschheit völlig unerwartet treffen könnten.

Sanduhr vor qualmenden Schornsteinen
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Klimawandel: Die Auswirkungen auf Natur und Gesellschaft

Der menschengemachte Klimawandel verändert unsere Welt mit vielfältigen Folgen. Welche Bereiche sind akut betroffen?

Der Klimawandel beschäftigt Wissenschaft und Politik seit Jahren gleichermaßen. Ihre Pläne, um die Umwelt zu schonen und die Erderwärmung zu entschleunigen, fußen dabei meist auf Prognosen. Diese wiederum machen Forschende an bestimmten Indikatoren fest, die zeigen sollen, wie viel Zeit uns noch bis zum nächsten Klima-Desaster bleibt. Das Problem ist jedoch, dass sie dabei offenbar einen entscheidenden Fehler machen.

Klimawandel komplexer als gedacht

Um die Stabilität klimatischer Systeme besser nachvollziehen zu können, hat ein Team der britischen University of Leicester im Rahmen einer neuen Studie die Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC) modelliert. Dabei handelt es sich um ein großes System von Meeresströmungen im Atlantischen Ozean, das für den Transport von Wärme und Salz quer durch den Ozean verantwortlich ist. Es spielt eine entscheidende Rolle im globalen Klimasystem – insbesondere bei der Regulierung des Klimas in Europa.

Die AMOC ist ein Teil des globalen Förderbands, das Ozeane weltweit verbindet und dabei hilft, das Klima auf der Erde zu regulieren. Änderungen in der Stärke oder dem Muster der AMOC können erhebliche Auswirkungen auf das globale Klima haben, einschließlich Temperaturveränderungen, Niederschlagsmuster und sogar dem Risiko eines abrupten Klimawandels. Allerdings sind diese Indikatoren nicht so eindeutig, wie bislang angenommen.

Im Rahmen ihrer Simulation stellten die Forschenden fest, dass sich durch den Zustand der AMOC in erster Linie lokale Prognosen treffen lassen – etwa über Veränderungen des lokalen Klimas im Nordatlantik. Problematisch wird es aber, wenn einer dieser vergleichsweise kleinen Übergänge eine Kettenreaktion anstößt. Frühwarnsignale seien, heißt es in der Pressemitteilung der Universität, nicht dazu in der Lage, den Schweregrad der sich daraus ergebenden Kipppunkte zu erkennen.

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Unberechenbarer Kipppunkt voraus

Eine Verlangsamung der AMOC könnte eine relative Abkühlung in Nord- und Westeuropa sowie in der windabgewandten Region des Nordatlantik zur Folge haben. Die Vorhersage des Verhaltens unseres Klimas, einschließlich der AMOC, stellt aufgrund seiner enormen Komplexität eine Herausforderung dar. Forschende müssen also entweder auf Modelle höchstmöglicher Auflösung zurückgreifen oder versuchen, das Verhalten mit weniger ressourcenintensiven Modellen zu verstehen, die eine rigorose statistische Analyse ermöglichen.

„Diese Zustände sind die verschiedenen Arten, wie sich die atlantische meridionale Umwälzzirkulation auf großen Skalen organisiert, mit wichtigen Auswirkungen auf das globale Klima und insbesondere auf den Nordatlantik“, erklärt Professor Valerio Lucarini von der Fakultät für Mathematik und Computerwissenschaften der University of Leicester.

In einigen Szenarien könne die Zirkulation einen „Kipppunkt“ erreichen. Dieser führe dazu, dass das System seine Stabilität verliere und zusammenbreche. Zwar würden einige Frühwarnindikatoren darauf hinweisen, dass das System anschließend in einen anderen Zustand übergehen könnte, wie dieser genau aussehe, sei aber unbekannt.

„Es gibt keine Abkürzung“

„In einer separaten Untersuchung haben wir etwas Ähnliches in paläoklimatischen Aufzeichnungen beobachtet“, so Lucarini. „Wenn man die interessierende Zeitskala ändert – wie bei einem Vergrößerungsglas – kann man immer kleinere Merkmale entdecken, die auf konkurrierende Funktionsweisen des globalen Klimas hindeuten.“ Anhand der paläoklimatischen Aufzeichnungen der letzten 65 Millionen Jahre sei das Team dazu in der Lage gewesen, die Klimaentwicklung in diesem Zeitraum neu zu interpretieren und diese verschiedenen konkurrierenden Zustände aufzudecken.

„Diese Studie ebnet den Weg, das Klima durch die Brille der statistischen Mechanik und der Komplexitätstheorie zu betrachten. Sie regt wirklich zu einer neuen Sichtweise des Klimas an, bei der komplexe numerische Simulationen, Beobachtungsdaten und Theorie in einer unvermeidlichen Mischung zusammengeführt werden müssen. Man muss diese Komplexität anerkennen und aushalten. Es gibt keine Abkürzung, kein kostenloses Mittagessen in unserem Verständnis des Klimas, aber wir lernen eine Menge daraus.“

Prof. Valerio Lucarini

Quellen: „Multistability and intermediate tipping of the Atlantic Ocean circulation“ (Science Advances, 2024); „A punctuated equilibrium analysis of the climate evolution of cenozoic exhibits a hierarchy of abrupt transitions“ (Scientific Reports, 2023); University of Leicester

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