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Grenzen der Physik gesprengt? Forscher finden Hinweis auf bislang unbekannte Kraft

Ein Forschungsteam hat bei Untersuchungen von Calcium-Isotopen unerwartete Anomalien festgestellt. Diese könnten auf das Wirken einer bislang unbekannten Naturkraft oder auf Grenzen des Standardmodells der Teilchenphysik hindeuten.

KI-generiertes Bild eines Calcium-Atoms
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Was sind Gravitationswellen?

Albert Einstein stellte mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie unser Verständnis von Physik auf den Kopf. Demnach krümmen schwere Objekte im Universum die Raumzeit.

Ein internationales Team von Forschenden hat bei hochpräzisen Messungen an Calcium-Isotopen Unregelmäßigkeiten entdeckt, die auf das Wirken einer bislang unbekannten Naturkraft hindeuten könnten. Diese Ergebnisse stellen das derzeitige Verständnis der fundamentalen physikalischen Kräfte infrage und deuten möglicherweise auf eine neue Physik oder bislang übersehene Schwächen im Standardmodell der Teilchenphysik hin.

Physik-Durchbruch mittels King-Plots

Im Zentrum der Studie steht eine ausgeklügelte Analysemethode namens King-Plot-Analyse. Dabei werden sogenannte Isotopenverschiebungen untersucht – minimale Unterschiede in den Frequenzen, mit denen Elektronen zwischen Energieniveaus in Atomen springen, abhängig davon, welches Isotop (also welche Masse) das Atom hat.

Nach den Vorhersagen des etablierten Standardmodells der Teilchenphysik sollten sich diese Verschiebungen bei einem Vergleich mehrerer Isotope in einer geraden Linie darstellen lassen, wenn man zwei verschiedene Übergänge betrachtet. Diese Linearität ist ein Prüfstein für die Gültigkeit des Modells.

Das Team um Dr. Alexander Wilzewski vom Institut für Experimentelle Quantenmetrologie (QUEST) an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig führte extrem präzise Messungen an einfach (Ca+) und vierzehnfach geladenen Calcium-Ionen (Ca14+) durch. Mithilfe modernster Verfahren – darunter die Quantenlogikspektroskopie – erreichten sie eine Genauigkeit im Sub-Hertz-Bereich. Das bedeutet: Sie konnten Frequenzunterschiede kleiner als ein Hertz messen.

Das Ergebnis: Eine signifikante Abweichung von der erwarteten Linearität, mit einer statistischen Signifikanz von über 1.000 Standardabweichungen. Eine solch hohe Signifikanz macht Zufall oder Messfehler als Ursache praktisch unmöglich.

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Neue Physik – oder Lücke im alten Modell?

Eine denkbare Ursache für diese Abweichung wäre die Existenz eines bisher unbekannten Bosons – eines Teilchens, das eine neue, fünfte Kraft zwischen Elektronen und Neutronen vermittelt. Eine solche Kraft würde die vier bekannten Grundkräfte ergänzen und das Tor zu einer „neuen Physik“ öffnen.

Die vier Grundkräfte der Physik sind:

  • Gravitation, die alle Massen anzieht und für die Bewegung von Planeten sorgt
  • Elektromagnetische Kraft, die zwischen geladenen Teilchen wirkt und z. B. Licht und Elektrizität erklärt
  • Starke Kernkraft, die Protonen und Neutronen im Atomkern zusammenhält
  • Schwache Kernkraft, die bei radioaktivem Zerfall eine Rolle spielt

Jede dieser Kräfte wirkt auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlicher Stärke, prägt aber gemeinsam das Verhalten aller Materie im Universum.

Doch es gibt auch konventionelle Erklärungen abseits der spekulierten fünften Kraft: Effekte wie die Massenschiebung zweiter Ordnung oder die Kernpolarisierung – beide innerhalb des Standardmodells bekannt, aber schwierig zu berechnen – können ebenfalls zu Nichtlinearitäten führen. Auch nach Einbeziehung dieser Effekte blieb allerdings ein Rest der beobachteten Abweichung bestehen.

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Strengste Schranken für neue Kräfte

Um herauszufinden, ob ein neues Boson tatsächlich für die Nichtlinearität verantwortlich sein könnte, erweiterten die Forschenden ihre Analyse mit einem sogenannten Generalized King Plot (GKP). Dabei bezogen sie einen dritten atomaren Übergang in Ca+ ein. Diese Methode erlaubt es, verschiedene Quellen der Nichtlinearität besser voneinander zu trennen.

Das Ergebnis: Die bislang strengsten Grenzen für die Stärke einer möglichen Kopplung eines hypothetischen skalaren Bosons an Elektronen und Neutronen – über einen großen Bereich möglicher Massen hinweg (von 10 Elektronenvolt bis 107 Elektronenvolt pro c2).

Ermöglicht wurde diese Entdeckung durch Methoden, wie sie auch in den präzisesten Atomuhren oder in der Quanteninformationsverarbeitung zum Einsatz kommen. Die Ionen wurden auf nahezu den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt, und mithilfe der Quantenlogikspektroskopie konnte das Team Eigenschaften mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen.

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Fünfte Kraft ist nicht bewiesen

Noch ist die Existenz einer neuen Kraft nicht bewiesen. Aber die Messungen zeigen eindeutig, dass entweder neue physikalische Phänomene existieren – oder dass unser bestehendes Modell an seine Grenzen stößt und weiterentwickelt werden muss.

Das Forschungsteam plant, die theoretischen Modelle insbesondere zur Kernpolarisierung weiter zu verbessern und zusätzliche atomare Übergänge mit vergleichbarer Präzision zu untersuchen. Bestätigen sich die aktuellen Ergebnisse, könnte das ein historischer Schritt hin zu einer erweiterten Beschreibung der Naturgesetze sein – und unser Bild vom Aufbau der Materie und des Universums grundlegend verändern.

Mit einer Abweichung von über 900 Standardabweichungen setzt das Ergebnis neue Maßstäbe in der Präzisionstestung des Standardmodells – und zwingt die Physik, entweder bisher unterschätzte Effekte wie die Kernpolarisation neu zu berechnen oder ernsthaft über eine bislang unbekannte fundamentale Kraft nachzudenken.

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Weitere Präzisionstests

Experimente an Ytterbium-Ionen (Yb+) liefern ein wichtiges Gegenstück zu den Calcium‐Messungen: Eine im Februar 2025 erschienene Studie kombinierte drei hochpräzise Übergänge in neutralem Yb+ und in hochgeladenen Yb13+-Ionen. Obwohl die gemessene King-Plot-Nichtlinearität mit ≈ 2 σ deutlich kleiner war als bei Calcium, erlaubte sie, die Kopplung eines hypothetischen skalaren Bosons an Elektronen und Neutronen im Massenbereich von zehn Kiloelektronenvolt pro Quadrat der Lichtgeschwindigkeit (keV/c2) bis einen MeV/c2 um fast eine Größenordnung enger zu begrenzen.

Bereits 2022 hatte ein japanisches Team eine 3 σ-Abweichung in einem generalized King-Plot aus drei Yb-Übergängen berichtet und damit den Weg für solche komplementären Tests gewiesen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher*innen im Fachjournal Physical Review X.

Quelle: „Nonlinear Calcium King Plot Constrains New Bosons and Nuclear Properties“ (Physical Review Letters, 2025); „Probing New Bosons and Nuclear Structure with Ytterbium Isotope Shifts“ (Physical Review Letters, 2025); „Observation of Nonlinearity of Generalized King Plot in the Search for New Boson“ (Physical Review X, 2022)

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