An der Justus-Liebig-Universität Gießen haben Forscher*innen erstmals ein Molekül hergestellt, das als Hexastickstoff (N6) bekannt ist. Es besteht aus sechs Stickstoffatomen, die wie eine Kette aneinanderhängen. N6 war lange ein Traum vieler Chemiker*innen, weil es in der Theorie als extrem energiereich galt. Jetzt ist es gelungen, dieses Molekül tatsächlich zu isolieren – ein echter Meilenstein auf dem Weg zu neuartigem Raketentreibstoff.
Kandidat für sauberen und hocheffektiven Raketentreibstoff
Die Herstellung war eine Herausforderung. Die Forschenden ließen Chlorgas oder Bromgas mit Silberazid reagieren. Damit das hochreaktive N6 nicht sofort wieder zerfällt, wurde es bei extrem tiefen Temperaturen stabilisiert, entweder in einer Argonmatrix bei zehn Kelvin (K) oder als dünner Film bei 77 K, der Temperatur von flüssigem Stickstoff. So konnten sie das Molekül untersuchen.
Die Struktur von N6 überprüften sie im Rahmen ihrer im Fachjournal Nature veröffentlichten Studie mit verschiedenen Methoden. Dazu gehörten Infrarotspektroskopie, ultraviolett-sichtbare Spektroskopie und der Einsatz von Isotopenmarkierungen. Unterstützt wurde alles durch Computermodelle, die das Bild der Bindungen bestätigten. Heraus kam eine Kette aus abwechselnden Doppel- und Einfachbindungen.
Was N6 so spannend macht: Es enthält riesige Mengen an Energie. Beim Zerfall in ganz normalen Stickstoff, wie er zu rund 78 Prozent in der Luft vorkommt, wird mehr als doppelt so viel Energie pro Gramm frei wie bei Trinitrotoluol (TNT). Diese Eigenschaft macht N6 zu einem hochinteressanten Kandidaten für sauberen und hocheffektiven Raketentreibstoff.
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Grundstein ist gelegt
Das Molekül hält bei Raumtemperatur nur 35 Millisekunden. „Das reicht aus, um es einzufangen und es zu untersuchen – ein riesiger Fortschritt in der Stickstoffchemie“, erklärt Prof. Dr. Peter Schreiner von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Doch bei -196 Grad Celsius bleibt es stabil. Berechnungen zeigen, dass es bei dieser Temperatur mehr als 130 Jahre überdauern könnte. Das gibt den Forschenden genügend Zeit, N6 im Labor zu untersuchen und neue Ideen zu entwickeln.
„In der Tat wäre Hexastickstoff damit der effizienteste Energiespeicher“, so Schreiner weiter. „Es ist das erste Mal, dass ein isolierbares, neutrales Stickstoffmolekül mit mehr als zwei Atomen im Labor hergestellt wurde. Das öffnet die Tür für die gezielte Entwicklung neuer und sauberer Hochenergiematerialien.“
Nun geht es darum, N6 so herzustellen und zu handhaben, dass es als sicherer Treibstoff genutzt werden kann. Die Vision: ein Raketentreibstoff, der enorme Energie liefert und dabei nur Stickstoff freisetzt – ganz ohne schädliche Rückstände. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, doch der Grundstein ist gelegt.
Quellen: „Preparation of a neutral nitrogen allotrope hexanitrogen C2h-N6“ (Nature, 2025); Justus-Liebig-Universität Gießen
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