Stell dir vor, du pustest einen Luftballon auf. Während sich das Gummi dehnt, entfernen sich die Punkte auf seiner Oberfläche voneinander. Jetzt stell die Frage: Wo ist das Zentrum dieser Ballonoberfläche? Wenn dir diese Frage wie ein Trick vorkommt, bist du nicht allein – genau dieses einfache Gedankenbild hilft, eines der größten Rätsel der Physik zu verstehen: Hat das Universum ein Zentrum?
Ein Universum in Bewegung
Vor etwa 100 Jahren machten Astronominnen und Astronomen wie Edwin Hubble eine seltsame Entdeckung. Als sie mit Teleskopen ferne Galaxien betrachteten, stellten sie fest, dass das Licht dieser Galaxien gestreckt – also „rotverschoben“ – war. Das bedeutete: Die Galaxien entfernen sich von uns. Daraus folgte eine erstaunliche Erkenntnis, die Hubble 1929 in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichte: Das Universum dehnt sich aus.
Sogar Albert Einstein, der mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie unser heutiges Verständnis von Raum und Zeit geprägt hat, nahm zunächst ein statisches, unveränderliches Universum an. Doch seine Gleichungen ließen durchaus eine Ausdehnung zu – was er später erkannte und seine frühere Annahme als den „größten Irrtum“ seines Lebens bezeichnete.
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Kein kosmisches Feuerwerk
Ein häufiges Missverständnis ist die Vorstellung, das Universum sei wie ein Feuerwerk explodiert – mit Galaxien, die wie Funken in alle Richtungen fliegen. Doch dieses Bild ist irreführend.
Wenn Forschende sagen, das Universum dehne sich aus, meinen sie nicht, dass sich Galaxien durch den Raum bewegen wie Raketen. Stattdessen ist es der Raum selbst, der sich ausdehnt – gewissermaßen das Gewebe des Universums, das sich streckt und Galaxien mitzieht.
Diese Erkenntnis basiert auf Lösungen der Einstein’schen Feldgleichungen, die im Rahmen des sogenannten kosmologischen Prinzips entwickelt wurden: Das Universum sieht in jeder Richtung und von jedem Punkt aus gleich aus. Modelle wie jenes, das Howard Percy Robertson 1936 im Astrophysical Journal veröffentlichte, beschreiben ein expandierendes, homogenes Universum ohne Mittelpunkt.
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Das Ballon-Modell und seine Grenzen
Also, wo ist das Zentrum dieser Ausdehnung? Die einfache Antwort gibt Professor Rob Coyne von der University of Rhode Island: Es gibt keines.
So wie bei der Ballon-Analogie – bei der sich alle Punkte auf der Oberfläche voneinander entfernen, ohne dass einer davon das Zentrum bildet – sieht auch jede Galaxie, dass andere sich von ihr entfernen. Das heißt nicht, dass wir an einem besonderen Ort sind. Im Gegenteil: Es gibt keinen besonderen Ort, kein Zentrum und keinen Rand. Die Ausdehnung findet überall gleichzeitig statt.
Das Ballon-Modell kann dabei helfen, sich die Ausdehnung des Universums vorzustellen, es hat aber auch seine Schwächen. Die Punkte stehen für Galaxien, und die Ballonoberfläche ist ein zweidimensionales Abbild unseres dreidimensionalen Universums. Auf der Oberfläche kannst du keinen Mittelpunkt finden – genauso wie im echten Universum.
Aber: Der Ballon dehnt sich in einen äußeren Raum hinein aus. Das Universum hingegen dehnt sich nicht in etwas hinein – der Raum ist selbst das, was sich verändert.
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Fremd, aber gleich
So schwierig es ist, sich das vorzustellen – diese Idee wird durch viele Beobachtungen bestätigt. In den späten 1990er-Jahren machten zwei internationale Forschungsteams bahnbrechende Entdeckungen: Bei der Untersuchung weit entfernter Supernovae vom Typ Ia stellten sie fest, dass sich die Ausdehnung des Universums nicht nur fortsetzt, sondern sich sogar beschleunigt. Diese Entdeckung war eine Sensation, weil sie dem bisherigen Bild eines sich verlangsamenden Universums widersprach.
Das erste Team unter der Leitung von Adam Riess, bekannt als das High-Z Supernova Search Team, veröffentlichte 1998 Ergebnisse, die auf einer detaillierten Analyse von Supernovae mit Rotverschiebungen bis etwa 0,6 basierten. Kurz darauf bestätigte das zweite Team – das Supernova Cosmology Project unter Saul Perlmutter – mit einer noch größeren Stichprobe von 42 Supernovae diese Beobachtungen und schloss sogar mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent auf eine positive kosmologische Konstante, also auf eine beschleunigte Expansion des Universums.
Beide Studien lieferten starke Hinweise auf die Existenz einer rätselhaften Kraft, die diese beschleunigte Ausdehnung antreibt: die sogenannte Dunkle Energie. Wenn du also in den Himmel blickst und dich fragst, wo das Zentrum des Universums ist, denk daran: Überall ist nirgendwo – und nirgendwo ist überall. Jeder Ort im Universum ist gleich wichtig und unwichtig – es gibt kein kosmisches Zentrum.
Quellen: „A relation between distance and radial velocity among extra-galactic nebulae“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 1029); „Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie“ (Annalen der Physik, 1916); „Die Feldgleichungen der Gravitation – Albert Einstein“ (Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, 1915); „Kinematics and World-Structure II“ (Astrophysical Journal, 1936); The Conversation; „Observational Evidence from Supernovae for an Accelerating Universe and a Cosmological Constant“ (The Astronomical Journal, 1998); „Measurements of Ω and Λ from 42 High-Redshift Supernovae“ (The Astrophysical Journal, 1999)
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