Schon 1938 führte Arthur Ruhlig an der University of Michigan ein Experiment durch, das fast in Vergessenheit geraten wäre – und doch lieferte es den ersten Hinweis auf die Deuterium-Tritium (DT)-Fusion. Heute könnten seine wiederentdeckten Ergebnisse die moderne Kernfusionsforschung in unerwartetem Maß vorantreiben.
Kernfusion lernt aus der Vergangenheit
Eigentlich wollte Ruhlig untersuchen, wie Gamma-Strahlen bei Reaktionen zwischen Deuterium-Atomen entstehen. Doch dabei fiel ihm etwas Unerwartetes auf: In seinem Versuchsaufbau wurden energiereiche Protonen beobachtet, die sich nicht allein durch die untersuchte Deuterium-Deuterium-Reaktion erklären ließen. Ruhlig schloss daraus, dass das gebildete Tritium mit Deuterium reagierte – und beschrieb diese DT-Kernfusion als „außerordentlich wahrscheinlich“. Er wagte sogar eine erste Schätzung der Reaktionsrate.
Sein kurzer Fachartikel erschien in der Physical Review, wurde aber kaum beachtet. Die Fachwelt richtete den Blick vor allem auf die Gamma-Strahlen, während Ruhligs entscheidende Beobachtung zur Kernfusion nur im letzten Absatz Erwähnung fand. Seine Schätzung war mutig, aber es fehlte an weiteren Experimenten, die sie hätten bestätigen können. So geriet diese Entdeckung über Jahrzehnte in Vergessenheit.
Im Sommer 1942 kam Ruhligs Arbeit indirekt wieder ins Spiel. Auf einem Treffen führender Physikerinnen und Physiker unter Leitung von J. Robert Oppenheimer schlug Emil Konopinski vor, Tritium dem Deuterium-Brennstoff beizumischen, um eine thermonukleare Zündung zu erleichtern. Jahrzehnte später fragten sich Forschende: Woher wusste Konopinski, dass die DT-Kernfusion besonders effektiv sein könnte?
In dieser Aufnahme aus dem Jahr 1986 erklärte er, dass er „Vorkriegsarbeiten“ kannte, die auf eine hohe Reaktivität von Deuterium und Tritium hinwiesen. Forschende des Los Alamos National Laboratory kamen der Spur nach – und stießen auf Ruhligs lange übersehenen Artikel zur Kernfusion.
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Experiment mit modernen Mitteln nachgestellt
„Wie wir herausgefunden haben, bestand Ruhligs Beitrag darin, die Hypothese aufzustellen, dass die DT-Fusion mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit stattfindet, wenn Deuterium und Tritium nahe genug zusammengebracht werden“, erklärte Mark Chadwick, stellvertretender Laborleiter für Wissenschaft, Berechnung und Theorie am Los Alamos National Laboratory.
Um Ruhligs Beitrag zur Geschichte der Kernfusion besser einzuordnen, entschloss sich das Team aus Los Alamos und von der Duke University, das Experiment von damals mit modernen Mitteln nachzustellen. Mithilfe eines Teilchenbeschleunigers und präziser Detektoren gelang es, die Bedingungen von 1938 möglichst genau zu reproduzieren.
Die Forschenden richteten einen Deuteronenstrahl auf ein deuteriumhaltiges Zielmaterial, und erfassten die entstehenden Reaktionen. Das Ergebnis bestätigte Ruhligs qualitative Schlussfolgerung: Die DT-Kernfusion tritt tatsächlich in solchen sekundären Reaktionen auf. Seine Einschätzung zur Häufigkeit der Fusion war zwar zu hoch gegriffen, doch das grundsätzliche Bild stimmte.
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Tiefgreifenden Konsequenzen bestätigt
„Die Replikation seines Experiments half uns, seine Arbeit zu interpretieren und seine Rolle und seine im Wesentlichen richtigen Schlussfolgerungen besser zu verstehen“, so Chadwick weiter. „Die Entwicklung der Kernbrennstoffphysik hat die tiefgreifenden Konsequenzen von Arthur Ruhligs kluger Einsicht bestätigt.“
Werner Tornow, Physiker der Duke University am Triangle Universities Nuclear Laboratory und Leiter der Studie, die sich mit Ruhligs Arbeit befasst hat, betonte die Bedeutung des Experiments. Im Gegensatz zu großangelegten Versuchen wie der Trägheitseinschlussfusion an der National Ignition Facility sei es seinem Team erstmals gelungen, in einer Niederenergie-Kernphysikanlage ein DT-Fusionsexperiment als Sekundärreaktion durchzuführen. Diese Reaktion folge auf die anfängliche Deuterium-Deuterium-Wechselwirkung, die das Tritium liefert.
Das trage seiner Einschätzung nach nicht nur zur Beantwortung wichtiger Fragen zur Geschichte der Kernphysik bei, sondern erweitere auch die Möglichkeiten, mit der DT-Fusion unter deutlich schwierigeren Bedingungen zu arbeiten.
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Aus historisch werde modern
Noch vor Arthur Ruhlig gelang es 1934 einem Team um Mark Oliphant, Ernest Rutherford und Paul Harteck, die ersten Fusionsreaktionen zwischen schweren Wasserstoffisotopen im Labor nachzuweisen. In ihrem bahnbrechenden Experiment beschossen sie Deuterium-Gas mit Deuteronen und entdeckten dabei das Entstehen von Tritium und Helium – ein klarer Beleg für die Deuterium-Deuterium- und Deuterium-Tritium-Fusion. Ihre Arbeit, die sie in den Proceedings of the Royal Society veröffentlichten, lieferte die erste experimentelle Bestätigung dafür, dass sich Atomkerne leichter Elemente unter geeigneten Bedingungen verschmelzen lassen.
Die große Bedeutung der DT-Fusion für die Energieforschung wurde auch durch ein historisches Experiment an der National Ignition Facility (NIF) im Jahr 2022 untermauert. Dort übertraf ein Trägheitsfusionsexperiment erstmals die sogenannte Lawson-Bedingung und erreichte einen Netto-Energiegewinn im Brennstoff selbst – ein Meilenstein auf dem Weg zur kontrollierten Fusionsenergie. Auch diese in den Physical Review Letters veröffentlichte Studie stützt die Relevanz von Arbeiten wie Ruhligs, da sie demonstriert, wie entscheidend die Wahl des Brennstoffs (hier: Deuterium-Tritium) für den Erfolg der Fusion ist.
Quellen: „Search for Gamma-Rays from the Deuteron-Deuteron Reaction“ (Physical Review, 1938); YouTube/Historian Alan B. Carr; Los Alamos National Laboratory; „Modern version of the uncited 1938 experiment that first observed DT fusion“ (Physical Review C, 2025); „Transmutation effects observed with heavy hydrogen“ (Proceedings of the Royal Society A, 1934); „Lawson Criterion for Ignition Exceeded in an Inertial Fusion Experiment“ (Physical Review Letters, 2022)
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